Schokoladenmuseum

v0n Susann

Grafisch/ästhetisch sehr befriedigend gelöst, und doch bleibt es nicht dabei. Wenn wir genauer hinsehen, wird hier auch ein gesellschaftliches Konzept, ein Plan beschrieben. Wir sehen ein bisschen Arbeiter- und Bauernstaat, wir werden erinnert an Charly Chaplins MODERNE ZEITEN, Mensch und Maschine, und ich muss an all die Rentner denken, die immer auf der Fußgängerbrücke am Ausgang des Niehler Hafens stehen und stundenlang gebannt den riesigen Containerkrähnen bei der Arbeit zusehen. Das fetzt einfach! (Und: Nein, RentnerINNEN bleiben dort nicht stehen!)

v0n Uschi

Wieder Street-Photography. Es ist interessant, wie diese Frau nach rechts hin geneigt ist. Und ihr Schatten ist entgegengesetzt geneigt. Das ganze Bild hat etwas Positives, Aufstrebendes - die Frau neigt und reckt sich ja dem Licht entgegen und fotografiert ins Licht, ihr Schatten aber ist vom Licht abgewandt, blickt vom Licht weg.

v0n Annette

Ein Aspekt, den man häufiger Antrifft, ist hier ganz schön dargestellt. Das Bild, das diese modernen, großflächigen, rhythmisch strukturierten Fassaden zurückwerfen, ist eigentlich eine kubistische Ansicht der Wirklichkeit.

Feine Magie. Untenrum klassische Architekturfotografie, obenrum Surrealismus.

v0n Renate

v0n Alex

Schön ist hier die pure Verheißung einer Runde im Riesenrad mit der schmucklosen, geradezu schmerzlich pragmatisch gestalteten Rückseite eines Kirmes-Stands zusammengebracht!

v0n Susanne

In diesem Bild interagieren Hände. Die Theke ist wie eine Theaterbühne, auf der die Hände eine Geschichte aufführen. Das geht nur deshalb, weil beide Gesichter der involvierten Personen unsichtbar oder fast unsichtbar sind. Das Gesicht der Frau, die zahlt, wird vom Kopf einer zweiten Frau verdeckt. Und das Gesicht des Verkäufers wird auf groteske Weise von einer Cellophan-Tüte verdeckt, über der nur noch die Vorderkopf-Glatze des Mannes hervorschaut. So wird der Mann irgendwie ANONYMISIERT - durch eine Ware. Ein bisschen Kapitalismuskritik ist ja immer gut - und zur Weihnachtszeit ohnehin ein Gebot des Anstandes. So haben wir hier diese pantomimische Szene, die jedoch, das steht ganz außer Zweifel, unmittelbar einer ganz und gar alltäglichen Szene entnommen ist. Well done!

v0n Uschi

Ich denke, das Berührende an dieser  Aufnahme bedarf keiner weitschweifigen philosophischen Interpretation: Die beiden Menschen lösen sich im Gewirr der Äste fast bis zur Unkenntlichkeit auf. Das ist anregend. Das ist inspirierend. Wir sind ja Natur, und hier werden wir wieder Natur. Die Persönlichkeit löst sich auf - es bleiben zwei anonyme Wesen - gesichtslose Menschen – deren Gestalt sich auflöst, ein bisschen sogar mit der organischen Struktur des Baumes verschmelzen.

v0n Annette

Was wir hier sehen, ist eine Bühne! Wir haben den Bühnenboden, die Kulisse und die Beleuchtung - natürlich von oben. Und wir sitzen im Publikum und warten darauf, dass die Vorstellung beginnt. Die Bühne selbst verspricht jedenfalls eine spannende Vorstellung! Eine Stadt nachts in künstliche Beleuchtung getaucht ähnelt immer einer Bühne. Wenn wir tagsüber zum Rewe eilen, da haben wir die harte Wirklichkeit. Doch nachts, wenn wir durch die Fußgängerzone in die Oper gehen, kommen wir uns vor wie Leonardo Di Caprio in seinem neuesten Hollywood-Streifen. Oder Keira Knightley. Irgendwie ist die Nacht die künstliche Version des Tages und eine wundervolle Projektionsfläche für alles, was uns am Tage fehlt. Und dieses Bild legt den Finger drauf!

Das Bild wird getragen von der eigentümlichen NICHT-Beziehung der drei Protagonistinnen. Ist dieses Bild mit einem Shift-Objektiv aufgenommen, oder wie kommt es, dass die Frauen unscharf sind, der Küchenjunge aber scharf ist?

v0n Jörg

NIEBLA! :-)

Diese Bilder werden vom Nebel getragen. Schwer, das zu bewerten! Jörg hat den ja nicht mit einer Nebelmaschine erzeugt, um eine Vision umzusetzen. Nebel ist fotografisch etwas sehr Ambivalentes. Zum einen möchte ich fast sagen: Nebel ist quasi per se schon eine EMOTIONALE WETTERLAGE. Bilder, in denen Dinge in Nebel getaucht sind, setzen ein recht hohes Grundrauschen an Gefühlen frei. Wahrscheinlich, weil sie zwangsläufig DAS VERSCHWINDEN oder noch allgemeiner DIE UNGEWISSHEIT ALLEN EXISTIERENS als Thema enthalten, das uns natürlich berührt. Auf der anderen Seite gibt es ein ästhetisches / haptisches Problem mit dem Nebel. Nebel ist ja optisch betrachtet das Ende der Dynamik. Deshalb braucht ein bei Nebel aufgenommenes Bild immer im Vordergrund irgendetwas, das einen normalen Tonwertumfang und Kontrast besitzt, sonst verabschiedet sich unser Auge alsbald.

Hier haben wir, was ich eben beschrieb, in solch reiner Form, dass es fast schon als Persiflage durchgeht. Der Blick ist auf das Riesenrad gerichtet - aber das sehen wir fast nicht. Dafür den Mauervorsprung, der aber vollkommen bedeutungslos ist. Und doch ergänzt er den Anblick des Riesenrads ganz elementar.  

Hier tragen die Zeltdächer zur märchenhaften Stimmung bei, die durch den Nebel erzeugt wird.

Ein riesiges mysteriöses Schiff, das leise einen Fluss hinauf gleitet. Muss an APOKALYPSE NOW denken. Wird Zeit, den Film mal wieder anzusehen.

Am besten gefällt mir dieses. Ausgerechnet! Hier spielt der Nebel zwar auch eine Rolle, aber er steht nicht so weit im Vordergrund wie bei den meisten anderen Bildern dieser Einsendung. Dieses Bild ist sehr schön komponiert. Die vertikale Aufteilung ist sehr harmonisch und die Form, die die Nebelwand annimmt, ist interessant. Am meisten aber fasziniert mich, wie hier DAS VERSCHWINDEN gleich auf zwei Ebenen visualisiert wird. Einerseits haben wir in diesem Bild einen sehr „wirksamen“ Fluchtpunkt, der durch die Lamellen der Fassade und den Verlauf des Geländers aufgebaut wird. = VERSCHWINDEN IN DER FERNE. Zum anderen merken wir, dass wir eigentlich auf eine Nebelwand starren = VERSCHWINDEN IM NEBEL. Ja, obwohl das Bild zunächst ganz scheinheilig als Architekturfoto daher kommt, ist es doch unversehens recht ergreifend.

v0n Jörg

Mutig draufgehalten!
Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm.
Es spielt in einem fort an seinem Handy rum :-)

v0n Uschi

Das Bild erinnert mich stark an Eugéne Atget - und das ist ein großes Lob! Wie unser Blick von unten nach oben durch das Bild geführt wird, ist geradezu berauschend. Und doch erzählen die abgestellten Pfosten eine Geschichte. Ein ganz einfaches aber ungemein kraftvolles Bild.

v0n Renate

Man könnte behaupten, dass die Strahler viel zu dominant sind. Man könnte auch behaupten, dass der Schirm wirkt, als sei er das Dach der Hecke. ICH liebe die unauffällige Anarchie dieses Bildes!

v0n Susann

Diese beiden Bilder aus der Botanik-Abteilung mag ich, weil es recht komplexe Bilder sind, in denen es etwas zu entdecken gibt, durch die man mit dem Auge wandert, eher als sich in eine Stimmung zu versenken.

von Susann

v0n Susann

Dieses mag ich, weil es herber, rauher ist - damit auch auf der Skala am weitesten von Kitsch entfernt.

v0n Annette

Schön, wie hier die verschiedenen Architektur-Stile zusammengebracht werden, und mitten in die traute Runde grätscht das Riesenrad. Der schwarze Balken oben ist stark betont - so erinnert er mich an die schwarzen Balken, die früher im Kino die wundervollen 70mm Filme einrahmten.

v0n Alex

Unter anderem habe ich mir ja bei Euch einen Namen gemacht mit der Bemerkung: ES ERSCHÖPFT SICH IM FORMALEN, die ja immer wieder gerne zitiert wird. Hier in diesem Bild kann ich auch nicht viel mehr sehen, als formale Qualitäten. Natürlich, Licht an sich ist ja schon ein Symbol, Schatten an sich ist Symbol und Metapher, aber wollen wir ehrlich sein: Dieses Bild punktet nur mit seinen formalen Qualitäten. Das aber kräftig! Hier sind gleich ein paar Dinge gut gelaufen. Die Projektionsfläche, die Oberflächenstruktur der Stufen, ist lebhaft und spannend, bricht etwas eine allzu große Strenge des Bildes auf. Wir sehen außerdem, dass das Muster nicht nur aus rechten Winkeln und Diagonalen besteht sondern dass die Vertikalen Linien flüchten, in einem imaginären Punkt über dem linken Drittel des Bildes zusammenlaufen. Auch das bringt wieder eine interessante Störung hinein. Schließlich ist das Muster selbst noch an einem halben Dutzend Stellen gestört. So haben wir eine sehr strenge - und gelungene! - Komposition (Makro-Struktur) unter deren Radar sich eine vielfach gestörte, verspielte Mikro-Struktur ausbreitet!

von Uschi

Das Bild hat beim ersten Anblick bei mir sofort verfangen, obwohl ich zunächst dachte, ich hätte dieses Bild oder ein ähnliches schon tausendmal gesehen. Was ist hier anders? Nun, wir sehen ja zwei Beine durchs Bild laufen. Wir wissen, dass sie zu einer Person gehören. Wir sehen außerdem die vollständige Person als Schatten auf dem Kopfsteinpflaster. Trotzdem haben wir das Gefühl, dass da nur zwei Beine entlanglaufen!

von Renate

Es gibt so Bilder, deren Gegenstände quasi wie ein Piktogramm ihrer selbst oder ein Symbol ihrer selbst erscheinen. Der ganz konkrete Gegenstand scheint derart sublimiert zu sein, dass er gar nicht mehr er selbst zu sein scheint. So geht es mir bei diesem Bild. Alle Baukörper, die wir hier sehen, wirken, als seien sie nicht Wirklichkeit sondern ein Plan von Wirklichkeit oder ein Entwurf dafür. Ganz unecht, ganz künstlich. Und der Himmel wirkt folgerichtig wie mit Photoshop reinkopiert - so würden wir es auch bei der Präsentation eines Architektur-Entwurfs machen. Stadt stundenlang eingekocht. Hier ist es natürlich unerlässlich, dass keine Menschen diese Reinheit verfälschen.

von Susanne

Diese Bilder sind vielleicht keine großen Kunstwerke, aber keinesfalls kitschig oder billig und zeigen überdies ein ganz schönes Gespür für die Balance einer Bildgestaltung.

von Susanne

Dieses Bild würde ich hervorheben. Denn hier kommt neben der Schönheit des Sujets und der Ausgewogenheit der Komposition noch sehr prägnant das Größenverhältnis der strahlenden Technik zu den kleinen Menschen zu Geltung. Irgendwie wird von diesem Bild das Gefühl erzeugt, die Menschen bewegten sich IM SCHATTEN oder ZU FÜßEN der Technik - als hätten sie sie gar nicht selbst und zum Zwecke ihres Wohlergehens geschaffen, sondern als seien sie deren Spielball.

Das ist eigentlich kein besonders komplexes Bild - Gattung: Architekturaufnahme. Aber Simone hat sehr fein erkannt und in Szene gesetzt, dass durch dieses Dreieck eine ganz andere Realität in das Bild Einzug hält. Wir können ja zum einen durch die Scheibe in den Innenraum sehen, zum anderen spiegelt sich die Umgebung in den Scheiben. ABER: Sind wir nicht darüber irritiert, dass der Turm, den wir in der Scheibe gespiegelt sehen, ANGESCHNITTEN IST? Doch, sind wir. Denn das bedeutet, dass der Turm HINTER der Scheibe ist, nicht VOR der Scheibe, und die Scheibe in Wirklichkeit ein Fenster in eine andere Welt ist. Die Menschen, die auf der Terrasse stehen, würden normalerweise stören. Auf einer Architekturaufnahme würden sie banalisierend wirken und nur ablenken. So aber unterstreichen sie noch die parallele Existenz dieser beiden Universen - die liebliche Stadtansicht mit entspanntem sonntäglichen Treiben und dann der Blick in diese diffuse andere Welt hinter der Scheibe.

Einfach eine gelungene Architekuraufnahme. Ich finde es sehr schön, wie der geometrische Körper des Museums angeschnitten und gegen den Himmel gesetzt wurde.

von Renate

von Alex

Sehr ihr: SO darf man den Sonnenuntergang fotografieren! Wir haben alle Vorzüge des echten Sonnenuntergangs, wir spüren, wie die Abendsonne auf unser Gesicht knallt und warm durch unsere geschlossenen Augenlider dringt, unser Leben erscheint uns plötzlich ganz ok, und doch müssen wir uns nicht einer Sentimentalität oder kitschigen Gefühlen schämen! Wir sehen ja nur den Abdruck einer banalen Stadtansicht, von der wir noch nicht einmal sicher wissen, ob sie tatsächlich existiert.

Köln, am Schokoladenmuseum, im November/Dezember 2021