Stadtarchiv, Einsturzstelle Waidmarkt

von Markus G.

Magritte goes Photography! Magritte, der große surrealistische Meister, dessen Bilder eine geradezu kindliche Leichtigkeit haben und doch so authentisch, tiefschürfend und fundamental sind! Der Zauber vieler seiner Gemälde liegt ja darin, dass er alltägliche und vollkommen banale Gegenstände malt - und dann passiert irgendetwas Abgefahrenes mit ihnen! Nicht selten wird dabei das Raum-Zeit Kontinuum infrage gestellt. Wie hier bei Markus: DIE ROTE TASCHE, herrlich, die archetypisch im Ausschreiten festgehaltenen Beine, die Jeans, alles ist so nervtötend gewöhnlich – und dann sehen wir hinter dieser Realitätsebene eine zweite, in der DAS GLEICHE PASSIERT – ABER ANDERS!

Ich glaube, der Reiz dieses Motivs liegt darin, dass es ganz stark den Anschein eines Innenraums hat aber ganz offensichtlich draußen liegt. Und dieser Aspekt kommt hier besonders stark zum tragen. Die Lichtsituation ist magisch und unergründlich. Wir blicken in eine Lichtquelle, aber wie mir scheint, geht das Licht, das im Vordergrund so auffallend auf die Paneele fällt, gar nicht von dieser Lichtquelle aus, sondern von einer anderen, die gar nicht im Bild zu sehen ist. Eine unergründliche Situation! Und vergessen wir nicht, dass die Diskrepanz zwischen innen und außen auch die Diskrepanz zwischen intim / persönlich und öffentlich ist.

von Susanne

17 und 23 - Alex

Wenn wir um das Thema STADTARCHIV  wissen, ist das Bild wirklich beklemmend! Die Leere, die Lücke, DAS FEHLEN, DAS NICHT-MEHR-DA-SEIN ist so eindringlich und berührend in Szene gesetzt! Was ist jetzt, wenn wir NICHT um das Stadtarchiv wissen? Vielleicht verliert es etwas von seiner Dramatik, denn wir erinnern uns, wie kalt es uns erwischt hat, und dass Menschen gestorben sind, ein Teil des Gedächtnisses der Stadt, ein Teil unserer Identität, zerstört wurde. Aber LÜCKE und FEHLEN bleiben bestehen. Schön, dass dieses Kabel da „durchläuft“, das zeigt nämlich, dass es irgendwo rechts weiter gehen muss! Und dann gibt es da noch diesen Kontrast zwischen der Weite des uns bekannten Universums und der Enge unserer städtischen Existenz. Auf diesem Bild wirkt es wie ein Blick hinter die Kulissen. Die Kulisse ist das Haus, eine Häuserreihe genaugenommen, von der ein Teil fehlt, und durch die Lücke sehen wir, wo wir eigentlich sind! Irgendwo im Nirgendwo. Lost in space! Also doch universell!

von Jörg

Der Zweifel, die Infragestellung, der Dekonstruktivismus: Nun hängt der Haken an Bauzaun. Der Kran ... – ist vollkommen überflüssig!

von Renate

Renate hat die beiden Schenkel des Daches genau auf eine Linie gelegt. Im Grunde kann man in diesem Bild kaum noch STADT sehen, man sieht nur noch geometrische Formen!

von Markus H.

von Markus H.


Eine kleine Serie von städtischen Halb-Panoramen (den Begriff habe ich gerade erfunden), die ich sehr gelungen finde. Sie sind informativ (im Sinne von dokumentarisch), auf angenehme Weise etwas „ungeschliffen“ und direkt, und sie haben dieses kleine PLUS, nach dem wir ja so unermüdlich graben: Erzählen auf einer suggestiven Ebene von Stadt und vom Leben in der Stadt.

Am besten gefällt mir das untere, vielleicht das verschrobenste dieser drei Bilder. Nun, zunächst gibt es uns wenig Rätsel auf. Aber bald drängt sich uns eine merkwürdige Dissonanz auf: Da die Rohrleitung genau der Traufe des Gebäudes folgt, verbinden sich diese beiden Baukörper miteinander obwohl sie nicht zusammengehören und auch gar nicht zusammenPASSEN. Daraus folgt wiederum eine spannende räumliche Irritation, denn wir „verstehen“ zwar, dass das Rohr mehrere Meter vor der Fassade steht, aber wir „empfinden“ es nicht. Und dann steht da noch dieser ... – WEIHNACHTSBAUM! Das Foto scheint ja wie für ihn oder wegen ihm gemacht. Und doch werden wir das Gefühl nicht los, dass er zufällig da steht. Das bleibt mysteriös. Und ebenfalls mysteriös sind die beiden Spiegel, die den Blick in zwei unterschiedliche Welten freizugeben scheinen.

von Markus H.

von Uschi

WENN MONDRIAN IN DEN HIMMEL SCHAUT. Ja, dieses Bild wirkt gewollt. Es ist nicht sehr emotional, und es wirkt nicht authentisch. Aber Mondrian wirkte ja auch gewollt und NICHT emotional. Aber authentisch eigentlich schon. Wie auch immer: Er brachte es zu Weltruhm – es muss also gehen, mit Bildern, die gewollt wirken und nicht emotional sind. Uschi hat das einfach schön gesehen und sauber durchgezogen! Auch die kaum sichtbaren Dächer am unteren Rand haben ihre Daseinsberechtigung. Aber was könnte man noch Tiefgründiges sagen über dieses Bild, das in erster Linie eine formale Wirkung hat (Mondrian = Konstruktivismus), wenn man, wie ich, zu denen gehört, die der Auffassung sind, dass ein Bild, das keinen universellen Inhalt hat, nichts taugen kann. Vielleicht könnte man sagen, dass der Konstruktivismus AN SICH ja schon eine Botschaft vermittelt, eine FROHE BOTSCHAFT nämlich: ORDNUNG IST MÖGLICH! Sehr tröstlich.
Wie die weiß gedeckte Leinwand bei Mondrian ist hier der Blaue Himmel der Grund, auf dem entschlossen aber sparsam Formen positioniert werden. Und das gelingt! Nur, anders als bei Mondrian, ist dieser „Grund“ nicht homogen sondern lebendig. Also wird hier DOCH ein wenig der organische Charakter unseres Universums gegen einen geometrischen, planvollen, berechenbaren Charakter unserer Zivilisation in Stellung gebracht.

von Uschi

Dieses Bild ist freilich recht ähnlich. Hier gefällt mir, dass es verspielter ist. Etwas weniger Mondrian, etwas mehr Zufall.

Solche Bilder kennt man vielleicht, aber dieses hier ist sehr raffiniert angelegt. Wir können ja mal einen Wettbewerb veranstalten, wer mehr Dreiecke findet! :-) Und – wie der Titel schon sagt – es geht um Chaos. Und Chaos finden wir auch sogleich. Aber schön, wie der Himmel hier auch noch durch ungelenk eingestreute Dinge „chaotisiert“ wird. Der Lampenschirm, der von oben ins Bild ragt, ist brilliant eingesetzt.

Chaos in der Südstadt - Alex

von Jörg

Insgesamt ist es ein wenig zu lieblich geworden vielleicht, aber ich mag es. Ein Sparschwein ist ja geradezu eine Ikone bürgerlichen Denkens. Es steht für Planung, maßvollen Verzicht, Selbstkontrolle, Sicherheit, Wohlstand usw. Hier fällt auch noch verheißungsvoll das abendliche Sonnenlicht darüber. Aber ... – wir sehen das Sparschwein durch eine strukturierte Glasscheibe verzerrt. Wieder eine Infragestellung - unserer bürgerlichen Werte. Naja, dem ist die Sonne vielleicht zu sehr im Weg, aber man kann ja nicht alles haben (siehe Sparschwein!).

von Susann

Höchstwahrscheinlich DER GROSSE ZUFALL. Die mysteriöse Zeichnung auf der weißen Wand ist bestimmt eine Spiegelung des Sonnenlichts, wahrscheinlich in Glaselementen einer gegenüberliegenden Fassade. Und der Mann ist höchstwahrscheinlich ein zufälliger Passant. Und um die merkwürdigen Zufälle noch weiter auf die Spitze zu treiben, hat die weiße Wand, deren Ende wir links sehen können, die Anmutung eines herabhängenden Hintergrund-Kartons in einem Fotostudio. Außerdem heißt die Autorin ja auch noch Susann Wagner! Will heißen: Wir haben hier ein Bild vorliegen, das unterschwellig nahezulegen scheint, dass es peinlichst genau konstruiert und inszeniert wurde - und entdecken dann, dass es ... - ein Schnappschuss ist! Phantastisch, dass der Mann seinen Mund geöffnet hat! Es ist so prägnant - wieder: DAS KANN KEIN ZUFALL SEIN!

Dieses Bild besitzt eine bestechende Einfachheit. Aber es ist auch irgendwie komplex, und durch das Schwarzweiß verliert es etwas von seiner Neutralität und Wahrhaftigkeit, wird ein kleines bisschen gefälliger und anschmiegsamer. Aber die wirre und doch harmonische Komposition dieser vielen unterschiedlichen Bildelemente bewahren es souverän vor dem nächsten Weihnachtskalender!

Ein schönes Architekturfoto, das aber auch sehr schön zwischen DRINNEN und DRAUSSEN Verwirrung stiftet.

von Markus G.

Der Zauber dieses Bildes ist schnell erläutert und dennoch nachhaltig: Dieser Schatten ist so prägnant wie ein Piktogramm, echter als echt sozusagen – und wie wir meinen: echter UND WIRKLICHER als die Fahne, die ihn wirft!

Stark Symbolisch! Dieses Bild lebt von dem überdimensionalen, groben, massigen Baukörper, der schwer im Bild hängt, und die Menschen, die unter ihm entlanggehen, zu bedrohen scheint. Hier führt die Verwacklung tatsächlich dazu, dass wir die Festigkeit und Stabilität und, allgemein gesprochen, die Verlässlichkeit der Gebäude oder schlicht der ganzen Stadt als fragwürdig wahrnehmen.

von Klaus

von Susann

Wie schon bei Uschis Bild aus Köln-Stammheim, liegt der Zauber hier darin, dass der Baum die Grenze zwischen Haus und Himmel verdeckt und unkenntlich macht. Dadurch entsteht eine Ordnung und Aufgeräumtheit, die es gar nicht gibt.

von Ines

Auf den ersten Blick kommt es uns bekannt vor: Wir haben eine Struktur mit grafischer Wirkung, die an einer Stelle durch ein fremdes formales Element gestört wird. So weit, so gewöhnlich. Es gibt einen ästhetischen Reiz, es gibt kompositorische Belange. Was mich aber an diesem Bild doch nachhaltig fesselt, das die Art und Weise, wie das „störende Element“ in Erscheinung tritt – ganz schwach, fast unkenntlich, in sich auch wiederum gestört, unscharf. Wir können nicht erkennen, worum es sich handelt, aber wir sehen, dass es UNTER der Struktur von horizontalen Linien liegt, denn sie wirft einen Schatten auf dieses Element. DAS GROßE VERSCHWINDEN!

von Renate

Das Bild ist zauberhaft! Um es mit einem Satz zu sagen: Hier prallen Schönheit und Banalität so wüst aufeinander, dass es nur so eine Freude ist. Wir schauen auf das Bild und können nichts anderes denken als: SCHÖN! Wie das Licht auf und auch durch die Kunststoff-Räder fällt und sie zum leuchten bringt, das lässt das Herz einer jeden Fotografin höher schlagen! Ebenso wie es über den Boden und die Steine streicht. Auch technisch schön hinbekommen! Und dann werden wir gewahr, dass wir auf ein unglaublich dusseliges Kunststoff-Rad blicken eines noch dämlicheren Baustellen-Zauns. Das ist faszinierend. Es ist auch lustig. Komischerweise bleibt das Bild jedoch schön und gleitet NICHT ins Lächerliche ab. Es ist natürlich AUCH ein Meta-Bild, ein Bild, das jenseits dessen, was es abbildet, thematisiert, dass wir eigentlich Schönheit mit Bedeutung in Verbindung bringen und überrascht sind, wenn dies nicht passiert, ein Bild über Bilder und Sehgewohnheiten.

von Klaus

Diese eigentlich archetypische Form des Hauses, uns so wohlvertraut, wird hier durch Anschnitt und Perspektive unförmig und ungewohnt. Außerdem scheint es hier eine eindeutige Bewegung in der Verwacklung zu geben. Entweder das Haus erhebt sich vor mir, oder ich versinke vor dem Haus, was im Zusammenhang mit dem Stadtarchiv ja dann tatsächlich ins Schwarze trifft.

von Annette

Auf den ersten Blick eine nicht ungewöhnliche Ansicht einer Straßenkreuzung. Der Pate und die anderen üblen Gesellen schauen uns ein wenig zu aufdringlich an, aber lassen wir das beiseite. Es ist sehr gelungen, wie auf diesem Bild Architektur dargestellt wird als ein Mittel, uns und unsere Umgebung auf ein höheres Level zu heben, unserem Streben einen höheren Sinn zu geben. Doch auch hier schlägt der Pragmatismus einer späteren Zeit oder Notlage zu, und das hehre Streben wird durch die oberirdische Rohrleitung jäh auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. So ist es halt bei uns!

von Markus G.

Es ist wundervoll, wie dieses Bild zwischen Ordnung und Unordnung laviert! Wir schauen auf diese sehr aufgeräumte und auch stark strukturierte Fassade und denken, wir hätten es mit einer Frontalansicht zu tun. Haben wir aber nicht – wir schauen in einem leichten Winkel auf die Fassade. Deshalb muss oben im Bild der irritierende Keil entstehen. Die untere Kante der untersten Fensterreihe jedoch, läuft fast GERADE durch Bild, folgt also nicht der Neigung der oberen Reihe, was wieder für uns herausfordernd ist, denn wir erwarten, dass diese Linien parallel verlaufen.
Und dann kommen noch der Lampenmast und der Schatten des Baumes ins Spiel: Sie sind seriell angeordnet – als handele es sich um den gleichen Gegenstand, der nach einem regelmäßigen Muster aufgestellt wurde – und fast, als sei das eine eine Spiegelung des anderen. Aber das eine ist ein kerzengerader Lampenmast und das andere eben ein verzweigter Baum und NICHT gerade. Die Schatten der Äste des Baumes auf der Fassade, auch die Spiegelungen der Äste in den Fenstern sind ein perfektes Gegengewicht zur Rigidität der Fassade. Und das rote Plakat sorgt dafür, dass wir die Unordnung auch wirklich genießen können, statt uns zu verlieren!

Ihr wisst, dass ich manchmal etwas halsstarrig werde, wenn Kunstwerke in Bildern verwurstet werden. Aber hier ... - also, wenn ich der Bildhauende wäre, die den Engel geschaffen hat, dann würde ich mich sehr über diese Fotografie freuen. Wie er da so zwischen Himmel und Erde schwebt, das hat Susann sehr gut hinbekommen.

von Susann

Der Baum bekommt hier etwas sehr Eigenständiges, Figürliches. Er wirkt wie ein wildes Tier, das zwischen der Häuserfassade und dem Rohr eingesperrt ist.

von Annette

von Susanne

Schon wieder eines für unsere Postkarten-Sammlung! Nun, es gibt viele solcher Bilder. Offensichtlich berührt es uns, wenn wir nach oben schauen und Teile eines Baukrans vor dem blauen Himmel sehen. Turmbau zu Babel? Dem Himmel so nah? Mit unserer Technik? Wie auch immer ... – was wir NICHT so häufig sehen, das ist diese feine aber durchaus etwas aufsässige rosafarbene Hello-Kitty-Schwade, die es sich in der unteren rechten Ecke gemütlich gemacht hat und von dort aus den gerade beschriebenen Archetypus verhöhnt! :-)

von Klaus

Was mir an diesem Bild gefällt, ist dass es einen so normalen Ausblick zeigt, wie wir ihn in der Stadt so häufig haben. Wir blicken über die Häuser hinweg in den Himmel. Und gerade dass hier die Verwacklung auf DAS NORMALE angewendet wird, erzeugt ein Gefühl von Bedrohung, der Bedrohung des Verlässlichen. Und genau das war ja der Einsturz des Stadtarchivs – im Gegensatz zu einem Meteoriteneinschlag beispielsweise.

Ich hatte euch ja quasi verboten, mit Dingen im Vordergrund auf Dinge im Hintergrund „zu zielen“! Natürlich wird es dann ERST RECHT gemacht, war ja klar! Aber so wie hier lass ich mir das gefallen. Hier entsteht nämlich ein sinnstiftender Zusammenhang zwischen Vorder- und Hintergrund, und das Haus bekommt einen ganz anderen, weniger ehrfurchtgebietenden Charakter dadurch, dass es in das Muster des Bauzauns gepresst wird. Eine Nebensache. Ein Objekt der Bauunternehmung.

das Haus - Alex

Ganz und gar nicht ungeschliffen, sondern vielmehr ganz fein gedrechselt! Ganz außergewöhnlich schön, wie hier der Raum erschlossen und gleichzeitig begrenzt wird, unsere Blicke höflich eingeladen und dann fürsorglich durch das ganze Bild begleitet werden!

von Markus H.

Ganz emotionslos, ganz neutral fotografiert. Eine willkürlich zusammengewürfelte Ansammlung von Baustellen-Gerätschaften, scheinbar achtlos abgestellt. Bei näherer Betrachtung fällt uns auf, dass der Container mit den Rohrleitungen doch merkwürdig und fremd ist. Und doch werden wir das Gefühl nicht los, dass wir es mit dem Blick in eine nur nachlässig aufgeräumte Ecke eines Kinderzimmers zu tun haben. Größenmaßstäbe!

von Renate

von Annette

Es gibt hier ein sehr inspirierendes Nebeneinander von Ordnung und Chaos. Ausnahmsweise darf ich auch einmal die Kette als Kompositionselement hervorheben, das dem Bild die entscheidende Komplexität verleiht, es vertikal gliedert und eine etwas langweilige Aufteilung in oben und unten relativiert. Aber es stehen hier nicht nur Ordnung und Chaos quasi gleichberechtigt nebeneinander. Sondern auch Pragmatik und Sublimation oder Spiritualität - ebenso ein Gegensatzpaar. Gleichberechtigt, weil sie in zwei Dreiecken zu kulminieren scheinen, die fast auf gleicher Höhe in den Himmel ragen. Ich muss allerdings gestehen: Die Möwe nervt ungemein. :-)

von Jörg

Hier wieder die Formelle Zusammenführung real nicht verbundener Dinge. Ich denke, es gibt dafür keinen Fachbegriff, und meiner wird sich bestimmt nicht durchsetzen, aber ich werde weiter daran feilen.

In der klassischen Bildkritik wäre es selbstverständlich ein Fehler genannt worden, die Kante des Krans so genau an die Kante des Gebäudes zu bringen. Ein Laie übersieht das oft, tut es versehentlich. Das Problem besteht darin, dass die Formen und Bildgegenstände nicht eindeutig getrennt sind, und das mag das Auge nicht. Auch der Geist nicht. Es ist wie im Leben: Trotz allem Geschreie nach Abenteuer, wollen wir wissen, woran wir sind! Außer natürlich, es handelt sich um einen hochgezüchteten Geist aus dem Stadtbild-Kurs, dem Kunstkritik bis ins kleinste Details geläufig, und der nur darauf aus ist, überkommene Bildvorstellungen in Grund und Boden zu enttäuschen.
Ich gehe davon aus, dass Jörg absichtlich den Kran an die Hauskante gefügt hat, denn so präzise, wie das geschehen ist, kann es kaum versehentlich passiert sein. Schaut einmal auf die Nahtstelle zwischen Kran und Haus: Man kann nicht entscheiden, welcher Gegenstand dem Betrachter näher ist. Gut: Wir haben also die Enttäuschung – das ist ein Pluspunkt! Aber wir brauchen noch INHALT! Ich würde sagen: So exemplarisch, wie das Phänomen hier vorgeführt wird, so frech, so unverschämt, wie es in Szene gesetzt wurde, ist es eine Infragestellung der sichtbaren Welt und / oder unserer Sehgewohnheiten, und das IST ein Inhalt!

von Uschi

Zuerst wollte ich schimpfen. Die Skulptur des Engels nimmt nicht viel Raum in diesem Bild ein, ist recht fern, und doch zieht sie unsere Blicke unweigerlich auf sich, ist Zentrum und Fokus des Bildes. Umso grausamer muss es uns erscheinen, wie unglücklich das Außenrohr des Bauzaun-Elements sie durchschneidet. Einen Moment lang sind wir richtig sauer auf Uschi! Doch dann entdecken wir die Vorzüge des ... – Dekonstruktivismus! Der Engel auf der Fassade – Form auf homogenem Grund – das ist der einzige Ruhepol in diesem Bild, und der wird durch den unseligen Anschnitt geradezu in sein Gegenteil verkehrt, in eine nervtötende Dissonanz, die das Chaos, auf das wir blicken, noch dreimal unterstreicht!

von Renate

Auffällig ist natürlich, dass die Dächer der beiden hintereinander liegenden und so sehr unterschiedlichen Bauwerke auf einer Linie liegen. Dadurch werden sie für uns zu einem Baukörper, und es entsteht eine etwas unförmige, sperrige Form, die mehr als zwei Drittel des Bildes einnimmt. Doch dann tauchen wir in die Details ein, und wir sehen diese komische Verfärbung der Dachschindeln, das offene Fenster .... Ist das eine Ruine? Irgendwie wirkt das Haus krank, mich berührt es.

Raffiniert alleine reicht mir ja bekanntlich nicht. Aber wie hier das einfallende Licht und der Schatten gemeinsam eine neue Form schaffen, das ist nicht raffiniert, das ist extrem raffiniert! :-)

von Susann

Das kleinlaute Auftauchen dieses Toilettenhäuschens in der Skyline aus Kirche, Haus und Tuya (?) lässt aufblicken. Es ist ein gewisser Witz drin. Aber täuschen wir uns nicht darüber hinweg, wie wichtig dieser Ast ist! Extrem penetrant, weil er nämlich genau durch den Schnittpunkt von Dach und Gehäusekante des Toilettenhäuschens führt. Das zwingt uns geradezu hypnotisch diesen Schnittpunkt anzustarren – an dem absolut nichts passiert!

gerade keine Zeit - Alex

Ich möchte Euch zu dieser Gelegenheit das berühmte Bild der Gabel von Kertesz ins Gedächtnis rufen.
In diesem Bild, in beiden Bildern, scheint eine absolut zwingende, geradezu entwaffnende ORDNUNG zu herrschen. Das ist brillant! Simones Bild ist natürlich viel komplexer. Aber – obwohl die Anordnung der Gegenstände und auch die Komposition ganz und gar willkürlich zu sein scheinen – haben wir den Eindruck, dass ALLES GENAU AN IHREM PLATZ IST! Und das ist überwältigend! Wir hatten dieses Thema im Cartier-Bresson-Kurs. Wenn wir ein Bild betrachten, das wie durch Magie eine Ordnung zu offenbaren scheint, die wir ohne das Geschick der Fotografin oder des Fotografen nicht gesehen hätten, dann scheint das zunächst eigentlich über die Welt gar nichts auszusagen. Aber es offenbart unsere tiefe Sehnsucht nach Sinn! Dass es eine sinnstiftende Verbindung zwischen den Dingen geben mag, eine Ordnung, und nicht das gesamte Universum ein riesiger Zufall ist und nichts von dem, was wir sehen können, einen tieferen Sinn hat und nach einem Plan miteinander in Beziehung steht – denn dieser Gedanke ist schwer auszuhalten! Da tut es doch gut, ein paar Kanthölzer anzuschauen und zu denken, DIE MUSS DER LIEBE GOTT PERSÖNLICH DA HINGESTELLT HABEN!

Dieses Bild hat ähnliche Qualitäten.  

Köln, Waidmarkt, im Februar 2022