Lindenthaler Unicampus

von Jörg

Das ist ein raffiniertes Bild! Man kann ihm etwas zugute halten, das man ihm ebenso zum Vorwurf machen könnte: Das Ungleichgewicht. Unsere Blicke wandern ganz nach links und arbeiten sich gehörig an dem sehr grafischen Wirrwarr der Eisenstreben ab. Weiter rechts kommt ein Streifen weniger großen Wirrwarrs: Die Schatten der Streben. Und dann, weiter rechts, kommt absolute Ruhe ins Bild. Eigentlich eine ziemliche Schlagseite, aber es wirkt vollkommen harmonisch.

Evelyn

Eine offenkundig situative Aufnahme, "shot on location", directly at the Regenschirmständer sozusagen, und doch ist die Aufnahme so dezidiert gemacht worden, gestalterisch und auch technisch auf den Punkt gebracht worden, was gar nicht so einfach ist, wenn man in der Uni vor dem Regenschirmständer auf den Knien rumrutscht und nur einen minimalen Tiefenschärfebereich zur Verfügung hat. Es ist eine schöne Aufnahme dieser einfachen Mechanik. Wir erkennen sie wieder - aber doch entdecken wir sie neu, so eindringlich, wie Evelyn sie uns hier vor Augen führt. Das offenkundig spinnenhafte der Gestalt beflügelt darüberhinaus unsere Vorstellungskraft. Und eben das "situative", die kleineren Ungenauigkeiten, Dinge, die man im Studio gar nicht toleriert hätte - sie verleihen dem Bild Authentizität.

von Matthias

Es ist ein sehr originelles Bild, das in mehrerlei Hinsicht von der Norm abweicht. Es ist ungelenk komponiert: rechts die Äste sind kaum noch auf das Bild gekommen, aber ohne die wenigen Blätter hier wäre das Bild ein ganz anderes. Die horizontale Bewegung des Astes überrascht, er scheint zwei Bäume miteinander zu verbinden. Und natürlich der Hintergrund, eine geometrisches Kachelmuster. Chaos & Ordnung. Natur und Kultur. Geometrische und organische Körper. Konkret aber geheimnisvoll.

Wie in letzter Zeit öfter geschehen, wähle ich ein Bild, obwohl es ein fotografisches No-Go besitzt. In diesem Fall sind es die drei Karikaturen von Menschen auf dem Whiteboard. Sie sind natürlich äußerst prägnant und ziehen unweigerlich unsere Blicke auf sich. Es sind eben Kunstwerke, Angebote von Visionen unserer Realität, die da in unsere - Simones - Bemühungen reinpfuschen. Aber doch dominieren sie das Bild nicht vollständig, fügen sich eher in einen anderen Kontext ein.
Mich fasziniert an diesem Bild, dass es eine Art fotografische Grattage par Excellence vorführt. Ihr werdet sehen, jetzt lernt Ihr auch noch ein bisschen Französisch - en passant sozusagen. Grattage - das ist die Technik, die wir auch im Kunstunterricht in der Schule durchgenommen haben. Wir haben kunterbunt mit Wachsmalstiften eine Fläche vollgemalt, dann haben wir das Ganze mit schwarzem Wachsmalstift bedeckt, und aus dieser  Schicht wiederum haben wir dann Linien und Flächen wieder rausgekratzt und damit willkürlich und zufällig die darunter liegenden Farben freigelegt. Ihr erinnert Euch? (gratter = französisch für kratzen). Hier wird das ganz wundervoll eingesetzt. Am ehesten fällt es anhand der beiden kleinen technischen Handgeräte auf (Telefone?). Sie sind nur als Silhouette sichtbar, und die Fläche ist mit der Spiegelung des Gartens "ausgemalt". Das gleiche geschieht - nicht ganz so offensichtlich - rechts mit dem Stuhl und links mit einem Gegenstand, den ich nicht identifizieren kann. Es ist wie eine Collage, bei der man Gegenstände ausgeschnitten aber dann falsch herum aufgeklebt hat. Es gibt eigentlich nur 2 Bildebenen in dem Bild: Der Blick in das Büro und die Spiegelung des Gartens in der Fensterscheibe. Die Grattage aber simuliert noch eine dritte Ebene. Ganz toll, eine komplex zusammengesetzte Wirklichkeit. Im Kontrast dazu wirkt die Karikatur merkwürdig harmlos.

von Uschi

Beim ersten Durchsehen dachte ich, das sei zu banal: Die Dokumentation einer sehr stümperhaften Montage einer Kinderschaukel. Aber je öfter ich das Bild angesehen habe, desto mehr habe ich entdeckt. Das Thema dieses Bilds ist HIMMEL & ERDE. Die Schaukel ist ja ohnehin schon ein Medium, um in den Himmel zu kommen oder nach den Sternen zu greifen - und doch wieder am Boden zu bleiben. Im Kontrast dazu, die sehr bodenständige und vollkommen unpretentiöse, IRDISCHE Montage. Zwischen den Stufen der Blick in den Himmel ist ganz wichtig. Die Stufen selbst wieder stehen für bleischwere Trittfestigkeit, und die Plastikkiste hat auch mehr Bodenhaftung als uns lieb sein könnte. Sehr erzählerisch das Bild. Mit einem Schuss Hoffnung auf das Jenseits. :-)

von Evelyn

Das Außenfenster als Bühne der Selbstdarstellung des Individuums in der Siedlung. Das ist hochspannend und absolut faszinierend. Hier wurde jedenfalls schon mal ein interessantes Exemplar einer solchen Bühne gefunden. Aber Evelyn hat darüber hinaus auch die Bühne wiederum inszeniert, indem sie sie recht klein und dezentral auf einer schwarzen Fläche - der Nacht - plaziert hat. Das war nicht umsonst: Es steckt darin eine Aussage über die Bedeutung des Individuums in der Gemeinschaft, die schiere GRÖSSE des Einzelnen, und die Vergeblichkeit seiner Bemühungen um Aufmerksamkeit und Achtung. Ganz fein.

von Jörg

Das Bild hat etwas total traumwandlerisches, das mir gefällt und ein weites Feld von Assoziationen öffnet. Ja, auf den ersten Blick ist ja alles klar: Schatten von Pflanzen auf Wand. Aber da haben wir dieses durch-den-Schleier-der-Erinnerung-Schwarzweiß. Wir haben diese Reflexe von Licht auf Wasser, die von rechts ins Bild kommen. Wir können an der Oberflächenstruktur der Wand sehen, dass das Bild scharf ist. Dennoch wirken die Schatten unschärfer, als sie sein müssten. Das verstärkt noch das verträumte Element. Und vergessen wir nicht: Jörg ist ja ein Meister der Schatten-Fotografie! Er hat da einiges in der Schublade, das vollendet werden möchte  - nicht alle von Euch kennen die Bilder! Aber dieses hier gehört unbedingt in die Serie!

Hier hast Du eine ganz schöne Metapher gefunden - oder GESEHEN - für das, was wir nicht wissen, was im Verborgenen geschieht oder verläuft und sich nur durch kleine, zufällige und auch banale Hinweise offenbart und unsere Fantasie anstößt. Entscheidend ist dabei für mich, dass Du diese tote Fläche so groß ins Bild gesetzt hast, die verschleiernde Fläche. Und dennoch hast Du unten im Bild einen konkreten Hinweis gegeben, sonst wäre es ein abstraktes Bild geworden.

von Ines

Ich denke, ich bin in Südamerika, wenn ich das Bild ansehe, aber ich kann nicht erklären, warum. Es ist eine gelungene Architekturaufnahme, gelungen, weil ein Gebäude oder Bauteil nicht nur abgebildet sondern beschrieben und verortet wurde und auch etwas über das Bauen gesagt wird. Wie es den Blick versperrt und lenkt, wie es uns von unserer Umgebung entfernt. Ein sehnsüchtiger Blick nach draußen.

von Susann

von Uschi

Das thematische Grundrauschen ist nichts Neues. Aber komischerweise scheinen die Blätter der
Stahlkonstruktion zu weichen oder die Stahlkostruktion in eine Lücke im Blätterdach eingesetzt
worden zu sein.

von Renate

Das Bild lebt von dem Aspekt der KEHRSEITE oder BLICK HINTER DIE KULISSEN oder VORNE HUI UND HINTEN PFUI - dass man nämlich die Rückseite von etwas zu sehen bekommt, von dem man nur die Vorderseite sehen soll. Man hat das Gefühl, ein unangenehmes Geheimnis zu erfahren.

Bild 7 - Matthias

Bild 10 - Matthias


Bild 10 und 7 leben ja davon, dass der Lampenmast die Rolle des Baumstamms übernimmt. So betrachtet finde ich 7 besser, weil das Bild diesen Aspekt sauberer herausarbeitet. Es ist ein witziges Bild!

Mensch - Alex

Was "Mensch" schafft - und damit überwindet es meine Skepsis gegenüber Spiegelungen - ist, Surrealismus im besten Sinne zu sein. Es bringt Dinge zusammen, die nicht zusammen gehören. Wir hatten das schon. Und natürlich lädt das zum Nachdenken ein, zum Überdenken, zur Reflexion des Gewohnten. So weit, so schön. Deshalb muss man nicht gleich hysterisch werden vor Freude, aber in Punkto Inspiration / Erweiterung des Horizonts ist es doch eine sichere Bank, möchte ich sagen. Das ist hier sehr schön gelungen. Aber es kommt noch etwas hinzu. Die beiden Ebenen sind hier beide unscharf abgebildet, was unsere Wahrnehmung noch stärker herausfordert und außerdem eine gehörige Prise Poesie ins Spiel bringt. Außerdem ist die Komposition vielschichtig und abwechslungsreich. Schön ist, dass zu dem recht organischen Gewusel dieses Rechteck rechts unten hinzu kommt, das den Menschen so spannend anschneidet. Ein sehr lebendiges Bild - obwohl DIESER Mensch ja wohl
nicht mehr viel sagen wird.

Mal wieder dieses anheimelnde Bremer-Stadtmusikanten-Thema - heimische Zuflucht und Wärme in der unwirtlichen Nacht. Und hier noch als Spiegelung, als fata morgana, was den träumerischen Aspekt dieser Szenerie quasi verdoppelt.

von Evelyn

Wir kennen das Sujet von Susann. Und doch: Wie unterschiedlich diese beiden Bilder sind. Hier wird natürlich das Geheimnis etwas mehr gelüftet. Dieses Bild lebt von dem Größenkontrast zwischen der Weite des Himmels und der winzigen Pflanze.

von Uschi

Was wir nie machen dürfen: Die Form in einem Bild mit dem Bild selbst in Übereinstimmung bringen. Dann haben wir nicht den Bildinhalt sondern das Bild selbst thematisiert - und die Illusion zerstört, die es im günstigsten Fall transportiert. Trotzdem sehe ich mir dieses Bild gerne an. Vielleicht, weil hier der Fehler so maßlos / schamlos übetrieben wurde.

von Evelyn

Raffiniert ... - und gemein. Das Thema dieses Bildes ist: Spot. Das Rampenlicht. Wir sehen das Rampenlicht, den Spot. Aber der Spot AUF diesem Bild ...- befindet sich außerhalb des Spots DES Bildes, der nämlich auf den Backsteinen in der Mitte des Bildes liegt. Eine permanente Enttäuschung!

von Annette

Die Symbolik ist nicht brandneu, ein bisschen Twin Towers steckt drin, und ein bisschen ein allgemeineres Statement zu moderner Architektur, aber es ist schön gesehen und inszeniert. Auf den ersten Blick sehen wir ja zwei Türme ohne Fenster, ganz hermetisch abgegrenzt von ihrer Umgebung, ganz schön böse und abweisend und obendrein auch noch Selbstzweck, denn eine Funktionalität ist auch nicht erkennbar. So böse, dass selbst das schöne Wetter einen bedrohlichen Anstrich bekommt. Wenn wir ganz ganz ehrlich sind, dann sehen wir links im Bild die Längsseite der Fassade - wenn wir uns den Schatten wegdenken, gar nicht so unfreundlich, mit Fenstern, um das schöne Sonnenlicht einzulassen. Aber nein, diese Botschaft verschwindet im Schatten. Es ist überraschend, wie fiktiv, wie künstlich eine Fotografie sein kann, selbst wenn sie ganz konventionell gemacht wurde! Man muss die Szene eben einfach sehen!

Beim ersten Anblick dachte ich: Nein, diese beiden Sachen kann man nicht zusammenbringen - die Treppe und den Baum, auch noch so merkwürdig um die Vorherrschaft im Bild konkurrierend. . Aber warum nicht? Es tut zunächst ein klein bisschen weh. Die Treppe stört einfach. Auch scheint sie am linken Bildrand befestigt zu sein. Aber wir werden durch viel Bewegung und Durchlicht versöhnt, und schließlich holt uns die Treppe einfach zurück auf den Teppich.

von Susann

Gefällt mir. Die weißen Kacheln hinter der Pflanze schaffen so eine Art Studio-Athmosphäre, die gleichzeitig deplaziert wirkt. Komposition und Anschnitt befinden sich ebenfalls in Widerspruch zur Studio-Ästhetik, weil sie keinem Plan zu folgen scheinen. Die Pflanze selbst hat auch schon ein bisschen was abbekommen, und doch ist das ganze Bild auch schön!

grün - Alex

Ich gehe mal davon aus, dass die Blümchen vor der Tür Unkraut sind, das in den Fugen der Steinplatten wächst, aber doch sehen sie so aus, wie ein verwaister Blumenstrauß, der dort abgelegt wurde. Das vor dem Hintergrund der abweisenden Architektur ergibt natürlich eine anrührende Poesie.

Ich bin ja für gewöhnlich gar nicht ein so großer Fan von Diagonalen, wie ihr wisst. Und auch Staffelungen sind oft schwierig. Meistens wird dann mit geringer Tiefenschärfe gearbeitet, und es entsteht ein Focus an irgend einem Punkt der Staffelung, ohne dass sich dort jedoch gleichzeitig Bedeutung kumulieren würde. Das hat Renate schonmal NICHT gemacht, so dass die Reihe der Fahrradständer an sich thematisiert wurde. Was bei diesem Bild jedoch außerdem und hauptsächlich zu Buche schlägt, ist der Kontrast zwischen der offensichtlichen Dynamik und Bewegung des Bildes (die natürlich vor allem der Diagonale geschuldet ist) und dem, wofür Fahrradständer stehen, nämlich STILLSTAND, dem Gegenteil von Bewegung.

von Renate

von Annette

Auch sehr interessant. Für einen fortwährenden Kritiker von Aufnahmen von Spiegelungen habe ich in den letzten Tagen ganz schön häufig welche gelobt! Auch hier ist es ganz schön gelungen, wie diese beiden Bildebenen zusammengefügt wurden, wie mit dem Skalpell ausgeschnitten - ein Wurmloch mitten in der Galaxie. Und wie die Fahrradständer den Charakter einer flüchtenden Herde bekommen!

Eine weitere gelungene Architekturaufnahme. Hier wird viel Konkretes über das Gebäude gesagt, gleichzeitig ist die Aufnahme jedoch eindeutig "stimmungsvoll" im Sinne von: von Stimmung bestimmt.

von Susann

Tolle Materialaufnahme, wunderbar haptisch und natürlich sehen wir vier Finger in dem Bild - wahrscheinlich hat Jörg eine römische Monumentalstatue entdeckt, und die Uni muss bald auf unbestimmte Zeit schließen!

von Jörg

Ein sehr schönes Bild. Vieles an diesem Bild ist etwas banal und vorhersehbar, einiges ein bisschen zu "zufällig", aber es entsteht ein rätselhafter Effekt dadurch, dass der Baum wie hinterleuchtet zu sein scheint. Es sieht so aus, als würde die Sonne genau hinter dem Baum stehen. Tut sie gar nicht, aber sie scheint auf die Häuserfassade und die erstrahlt im Lichte der Sonne und schimmert durch den Baum. Das gibt dem Bild etwas Besonderes.

von Matthias

von Annette

Das Bild ist nicht eigentlich aufregend, sondern leise und diskret - um nicht zu sagen: etwas kleinlaut. Aber es beschreibt vergleichsweise eingehend unser Land über den Umweg der städtebaulichen Accessoires, mit denen wir uns umgeben und sagt auch etwas über das unerschütterliche Verlangen des Menschen, seine Umwelt zu gestalten und nach seinem Wohlgefallen zu formen, und darüber, wie die Zeit, der Alltag, die Realität an diesen Bemühungen ebenso unerschütterlich nagen. :-)

Hütte - Alex

Wenn es zu einer Spiegelung keine Referenz mehr gibt - also ein Teil "Realität" - dann wird das Bild zu einer reinen Abstraktion und die Eigenschaft, eine Spiegelung zu sein, tritt weiter in den Hintergrund. Hier ist die Spiegelung ein impressionistisches Gemälde. Schön ist, dass aus diesem farbenfrohen, organischen Gemälde voller Bewegung "Haus" und "Baum" aufblitzen wie Piktogramme.

Köln-Lindenthal, im Oktober 2020