Auf der Philharmonie

Bild 13 - Evelyn

Hier in Bild 13 (und vergleiche dazu Bild 5 & 6) begegnet uns das alte Problem: Das sind Fotos einer Installation. Es stellt sich wie immer die Frage, wie groß der Beitrag der Fotografin ist, wie sehr das Bild eine eigenständige Gestaltung aufweist oder eben in seiner Wirkung von dem abgebildeten  Kunstwerk abhängig ist. Evelyn gelingt es in 13 "ihr eigenes Ding" durchzusetzen. Einmal wechselt sie die Perspektive: Das Kunstwerk ist ja offenkundig so konzipiert, dass es von vorne wahrgenommen wird, dass man den Puppen ins Gesicht sieht. Evelyn hat sie nun aber von hinten fotografiert. Nun fällt auch der Dom als Kulisse weg, der bestimmt als Kulisse herhalten sollte. Stattdessen kommen die Sterne einer Weihnachtsdekoration zum tragen, was eine wesentlich spannendere Verbindung bietet. Und natürlich hat sie das Kunstwerk relativiert, indem sie es ein wenig im Nebel der Unschärfe hat verschwinden lassen. Hier ist etwas Neues entstanden!

Bild 5 - Evelyn

Bild 6 - Evelyn


von Ines

Ihr wisst ja, wie schwierig ich es finde, wenn Graffiti fotografiert werden oder auch ungewollt ein Bild vereinnahmen. Aber so geht es! Das Graffito wurde entfernt, aber nicht vollständig. Was übrig bleibt, ist ein Schatten dieser Äußerung, eine Spur aus der Vergangenheit, ein Hinweis auch darauf, dass diese Sisyphusarbeit gar keine Sisyphusarbeit ist sondern ein selbstverständlicher Teil unseres urbanen Daseins. Wie Straße-fegen.

von Renate

Das ist waschechte Street-Fotografie! Lebendig, spontan und ausgestattet mit diesem Quentchen kongenialen Zufalls, der in jeder guten Street-Fotografie steckt. Zuerst der Zauber dieses Meers von Seifenblasen, der uns sofort in unsere Kindheit versetzt. Überhaupt: Seifenblasen! Sie schweben davon, die Welt gespiegelt in ihrer Oberfläche, in den Farben des Regenbogens - immer bereit zu platzen. (Heißt es deswegen, dass ein Traum "platzt"?) Und dann sehen wir unweigerlich das Mädchen. Die Sonne scheint in ihr Gesicht. Aber ... - sie ist genervt! Ja, stimmt, so Seifenblasen können ja auch nerven! Jetzt erinnern wir uns. Sie schmecken furchtbar künstlich nach Seife, sie hinterlassen einen klebrigen Fleck, wo sie platzen, brennen in den Augen ... Da ist eine wunderbare Spannung in dem Bild zwischen der puren Verheißung dieser Seifenblasen und diesem ganz und gar irdischen Genervtsein des Mädchens, ihrer merkwürdig irdischen (Ver-)Kleidung, IHRER BRILLE! Schön gemacht!

Schwer, das zum Stilmittel zu erheben - wir sprachen darüber - aber die Szenerie - gerade WEIL sie trotz Unschärfe so gut zu erkennen ist - wird zum Archetypus erhoben.

von Susann

U - Annette

"U" ist ein gutes Bild geworden! Wir ahnen, was es ist, aber es bleibt unkenntlich genug, um uns herauszufordern. Wir haben diese magische ästhetische Wirkung, die Buchstaben an sich haben, wenn sie ganz aus dem Kontext genommen sind: Eine reine Form, fast sinnentleert und doch Träger fast aller unserer kulturellen Leistungen. Und dann haben wir auch noch diesen Blick hinter die Kulissen, die grobschlächtige Befestigung dieses überdimensionalen Buchstabens, Sein und Schein - hier reines Kulturgut, dort Schrauben und Dübel.

von Evelyn

Hier ist ein ganz feines Gleichgewicht entstanden zwischen einer absichtsvollen, durchaus gelungenen eleganten Komposition und der sehr deutlichen Präsenz absolut banaler, reizloser Gegenstände. Wären die Stühle nicht so reizlos, liefe das Bild Gefahr, "sich im Formalen zu erschöpfen" :-).

Wir kennen das Motiv von Ines, und jetzt seht mal, wie anders dieses Bild ist! Das Graffito, das bei Ines schon so wohltuend zurückgenommen war (genaugenommen war es wohltuend beinahe-entfernt worden), spielt hier eigentlich GAR KEINE Rolle mehr. Das Bild wird ganz klar dominiert von den beiden Bäumen und ihren "Schatten". Das liegt aber nicht am Motiv, sondern an Simones gestalterischem Eingriff. Dieser Effekt nämlich, dass die hinteren Bäume wie Schatten der vorderen scheinen, der entsteht nur dadurch, dass die Kontraste verstärkt wurden. Das ist Simones Eingriff. Was geschieht, ist spannend. Man ist versucht, die hinteren Bäume als Projektion der vorderen auf der Gebäudewand zu sehen. Sie müssten daher zweidimensional sein. Sind sie aber nicht. Außerdem können diese Schatten natürlich nicht auf die gleiche Lichtquelle, die gleiche Sonne zurückgehen, denn die Bäume werfen ja ihre Schatten in verschiedene Richtungen. Das kann nicht sein! Ich muss sofort an einen Song von Pink Floyd denken, in dem es heißt "... two suns in the sunset ..." um zu beschreiben, dass eine Atombombe gezündet wurde und wir nun zwei Sonnen über dem Horizont sehen können. Plötzlich wirk dieser Ort wie eine Theaterkulisse. Immer schön - diese Momente und Ansichten, die unseren Alltag und unsere gewohnte Umgebung in Frage stellen.

Standfest - Annette

Schön gesehen und komponiert, aber hier muss ich mal ausnahmsweise an der Schärfe rummeckern, was ich ja selten tue. Ich denke, der helle Teil der Säule, der auf uns zu kommt, dieser Lichtfleck, dort hätte es scharf sein müssen. Wir sehen durch die Unschärfe, dass dieser Punkt spannend ist, und dann werden wir enttäuscht, weil wir ihn nicht richtig zu sehen bekommen. Stattdessen wird es NEBEN dem Lichtfleck scharf, und außerdem ist die schnöde Siliconfuge auch scharf.

Ich kann nicht erkennen, was da auf den Dächern ihr Unwesen treibt. Der Titel gibt einen Hinweis, aber es ist nur eine Möglichkeit: Wird da fotografiert? Etwa mit Stativ? Gibt es das überhaupt noch? Wie auch immer: Das Bild spricht nach meinem Dafürhalten eindeutig ein Topos der Ikonografie der Fotografie an. Auf mich wirkt es sehr bedrohlich. Scharfschützen. Und das nicht als Metapher für Fotograf*innen gemeint.

 

Stadtpanorama - Alex

Die Balance zwischen der echten Welt (Vordergrund) und der Scheinwelt (die Spiegelung) ist hier schön ausgewogen.

von Jörg

Auch dieses Bild möchte ich Euch ans Herz legen. Dieses Bild ist auf den ersten Blick furchtbar kitschig. Kitschig, weil die roten Blätter wie Herzen geformt sind. Da darf man eigentlich gar nicht hingucken! ABER: Die ganz und gar zufällige Verteilung der Blätter auf der Bildfläche, die offensichtlich keiner gestalterischen Regel oder Absicht gehorcht, und das vertrocknete Geäst mit seinen Hinweisen auf NATURE MORT, hauchen dem Bild so viel Wahrhaftigkeit ein, dass der Kitsch ganz entschieden zurückgedrängt wird - und wir uns ohne Schuldgefühle an dieser ganzen Schönheit laben dürfen!

Wir kennen diese Bilder. Es ist nicht so schwer, mit der Kamera zu malen. Es hat eine Weile gedauert, bis das in den Kanon der erlaubten Gestaltungsmittel der Fotografie Einzug gehalten hat, aber heute ist es uns wirklich geläufig, und man muss etwas aufpassen, es sich nicht ZU leicht zu machen. Hier gefällt mir, dass die Blätter (ich nehme an, sie lagen am Boden, und die Kamera wurde bewegt) ebenso herabrieseln könnten vor einem unbestimmten Hintergrund.

Mondrian at the Museum Ludwig! Fassadeninstallation. Beim ersten Anblick habe ich mich noch an dem Bogenansatz oben gestört ..., aber das gibt sich nach einer Weile. :-)

von Jörg

Ja, das war ein Bild auf den ersten Blick! Es ist nicht wirklich ein Rätsel, woher der dritte Baum kommt, aber diese kleine vermeintliche Ungereimtheit trägt das Bild ein gutes Stück weit. Und dass die drei Bäume drei Stadien der Auflösung darzustellen scheinen - vor oder in diesem herrlichen Gewirr aus Efeuranken, Ästen und Schatten.

drei - Alex

von Ines

"Ein Männlein steht im Walde ...". Ich habe das so oder so ähnlich schon gesehen, aber es ist eben gelungen! Und es enthält eine Botschaft über das ambivalente Verhältnis des Menschen zu dem, was er sich mit seinen Städten geschaffen hat.

von Renate

Eine sehr konzentrierte, aufgeräumte Kompositionen.

von Uschi

Hier  wird die Geschichte der Fotografie nicht neu geschrieben, es passiert etwas, das wir so oder so ähnlich schon mal irgendwo gesehen haben, aber hier ist es doch ganz besonders treffend auf den Punkt gebracht worden. Die Art, wie hier die Bäume - organische Gebilde! - sich in ein Muster fügen, das aus ihnen und den Laternenmasten und den Schatten von beiden auf der ebenfalls streng gegliederte Fassade, das ist schon sehr schön visualisiert worden. Aber das ist noch nicht alles. Wie immer bei einem guten Foto, muss auch noch ein universeller menschlicher Inhalt zum Tragen kommen, sonst ist es langweilig. Und das geschieht hier auch, denn gerade in diesem strengen Muster und darin, wie die Bäume - also Natur - in dieses Muster integriert werden, wird so viel über den Menschen gesagt und wie er sich seine Umgebung unterwirft. Außerdem ist dieses Bild auch ein wenig Sinnbild für das, was Fotografie ÜBERHAUPT ist: Fotografie ist der ABDRUCK von Licht auf einem Film oder einem digitalen Sensor, so, wie ein Schatten der durch Licht erzeugte Abdruck eines Gegenstandes ist.

von Evelyn

Das ist ein vertracktes und verzaubertes Bild. Als erstes sehe ich: Symmetrie - und will eigentlich gleich schon wieder wegschauen. Die Symmetrie wird natürlich durch den zentralen Lampenmast erzeugt, der so penetrant, beinahe möchte ich sagen: schamlos in die Mitte des Bildes gesetzt wurde. Dann sehe ich die Wolke. Hm, immer noch Symmetrie, weil ebenfalls in der Mitte des Bildes, aber diese Form ist nun - im Gegensatz zur Lampe - selbst NICHT symmetrisch sondern von ganz und gar zufälliger und offensichtlich wechselhafter Form. Wie Lampe und Wolke nun übereinander gelegt wurden - das ist jetzt offensichtlich von Evelyn gesehen und absichtlich so herbeigeführt worden - das ist auf eine ganz nette Art und Weise abstrus. Und die Dämpfe, die von unten aus dem Kühlturm aufsteigen, die relativieren ein klitzekleines Bisschen die Wolke und nehmen dieser Anordnung die Penetranz, machen sie zu etwas Beiläufigem (was sie nicht ist!).

 

So weit, so schön. Nun trägt aber die ganze Fotografie noch recht stark eine Anmutung von Deutscher-Herbst-70er-Dokumentarfotografie. Ich weiß nicht genau, an welchen Details das liegt. Ist vielleicht die Lichtanlage aus dieser Zeit, und wir erkennen sie unbewusst als Requisit der 70er? Wir haben außerdem eine Vignettierung im Bild. Nein, es sieht nur so aus wie eine Vignettierung, was aber auf das gleiche hinausläuft: Das Bild wird nach oben hin dunkler. Eine Vignettierung wird gemeinhin als Ästhetik vergangener Zeiten wahrgenommen, also mit einem historischen Foto in Verbindung gebracht. Außerdem wirkt das Bild wie durch eine Scheibe fotografiert oder wie ein Bild aus dem Fernsehen. Schließlich haben wir noch sehr deutliche Hinweise auf Industrie, die ich auch eher mit Vergangenheit konnotiere. Diese "medialen" Assoziationen haben aber mit dieser Lampe-und-Wolke-Konstruktion nichts zu tun. Irgendwie wirkt das wie ein Märchen, das in ein vollkommen anderes Umfeld verpflanzt wurde.

von Ines

Das Bild ist schön, und es ist ergreifend. Auf den ersten Blick sind wir verführt, uns einfach nur der schönen, herbstlichen Abendstimmung hinzugeben. Ein wolkenloser Abendhimmel, kahle Bäume, dieses kleine Licht unten rechts, das Wärme und Geborgenheit verheißt ... und Zimtsterne. Und Kräutertee. Aber das hält nicht lange. Der Point Of Interest ist natürlich der Kopf des Reiters, der durch den Baumstamm in zwei Hälften geteilt wird. Nein, er wird nicht verdeckt, er wird geteilt! Genauer: Das Bild wurde entlang des Baumstamms zusammengesetzt, und beim zusammenbasteln ist von dem Gesicht / Kopf ein kleines bisschen verloren gegangen. Das ist natürlich eine optische Täuschung, Ines würde so etwas nie tun! Dennoch fühlen wir, dass von dem Kopf etwas fehlt. Von dem RAUM fehlt etwas! Dass Ines Baum und Reiterstandbild SO übereinander gelegt hat - und ich unterstelle, dass sie das genau gesehen hat - wäre normalerweise Anlass genug für eine gehörige Schelte gewesen, denn das ist banal und grobschlächtig. Aber in diesem Fall geschieht etwas magisches. Es sieht so aus, als offenbarte das Bild eine kleine Fehlstelle im Raum/Zeit-Kontinuum! Mitten in unserem Alltag, an einem schönen, friedlichen Herbstabend, ... IN KÖLLE! Ganz toll!

Schön, dass ihr mich immer wieder mit Dom-Fotos herausfordert! Dieses Bild müsste eigentlich witzig sein, aber es ist nicht witzig. Der Dom wird ja hier verhöhnt, denn die Turmspitzen werden mit dieser dusseligen improvisierten Elektroinstallation in eine gleichberechtigte Beziehung gesetzt. Das ist für Kölner und Kölnerinnen selbstverständlich Subversion allerübelster Couleur! Und die nicht Kölner*innen dürfen sich amüsieren. Aber wieso ist das Bild gar nicht witzig? Ich vermute, weil die Komposition so spannend und spannungsvoll, so fein und differenziert ist, dass wir das Bild unweigerlich ernst nehmen müssen.

von Uschi

von Susann

Die Ansicht überrascht uns nicht. Uns überrascht die Helligkeit. Hier ist ohne Rücksicht auf Verlust das Licht gedimmt worden. Ich kann nicht sagen, wie das zustande gekommen ist. Wirklich am Regler gedreht? Oder ist das am Ende doch eine Spiegelung? Natürlich: Wolken vor einem blauen Himmel sind immer WEISS! Dass der Himmel blau ist, das ist offensichtlich, aber die Wolken sind nicht weiß. Nur ganz unten im Bild sieht man an einer Wolke, wie sie eigentlich erstrahlen müssten. Jedenfallls entsteht eine sehr starke Stimmung, der wir uns nicht entziehen können - nur durch die Dunkelheit. Alles ist erlaubt!

von Renate

Sehr schön, wie Du diesen Baum mit den harten Schatten festgehalten hast - der so besonders organisch wirkt - und ihn vor das ganz und gar symmetrische Linienmuster der Backsteinwand gesetzt hast.

von Uschi

Ein Bild auf den zweiten Blick. Zuerst habe ich darüber hinweg gesehen.  Es wirkt ein wenig mißraten, weil zwei recht unruhige Gebilde um die Vorherrschaft in dem Bild zu streiten scheinen. Aber nein, das tun sie nicht. Die Vorherrschaft hat die Pflanze, auch wenn wir vielleicht erwarten würden, dass sie einen größeren Teil des Bildes einnehmen müsste, und dass der unruhige Hintergrund eigentlich unschärfer sein müsste. Aber nein, es klapppt. Es bleibt aber ein Konkurrenzverhältnis bestehen, dass uns herausfordert.

von Renate

Ein richtig witziges Bild: der Dom versinkt in einem Scheißhaufen :-).

Auf Wiedersehen - Alex

Ich wähle aus dieser Einsendung "Auf Wiedersehen". Überrascht mich selbst ein wenig! Bei der ersten Durchsicht habe ich noch glatt darüber hinweg gesehen. Das Bild ist ein wenig sperrig. Der meiste Raum wird von dem Springbrunnen eingenommen - der aber unscharf ist. Deutlich unscharf, aber nicht so unscharf, dass man an ihm vorbeischauen würde. Etwas unbefriedigend, aber jedenfalls kann es darum ja dann nicht gehen. Aber natürlich: Unser Blick wird recht eindringlich zu dieser kleinen Spiegelung im Fenster geleitet. Ja, das muss es sein! Aber WAS ist es? Es ist eine Spiegelung. Es ist figürlich. Und da der Brunnen so ostentativ im unscharfen Vordergrund HIER schreit, müsste es eigentlich ein Teil des Brunnens sein  - vielleicht der Abschluss, eine Figur auf der Spitze des Brunnens oberhalb des Bildrandes. Eine Figur von hinten. Sehr rätselhaft. Die Form ist eigentlich vollkommen uneindeutig, eine herrliche Projektionsfläche, aber gleichzeitig ist sie eindeutig figürlich. Sie ist gleichzeitig unbestimmt und bestimmt. Außerdem steht sie vor uns auf einer Spiegelung des Himmels, und das macht sie zu einem noch begehrenswerteren Spekulationsobjekt, erhöht diese unbestimmt bestimmte Figur noch weiter. Und dieser ganze Zauber, diese Rätsel, in einem Bild, das auf ersten Blick missraten und banal erscheint!

Kunstpause - Annette

"Kunstpause"  ist ein verrücktes Bild! Die Strebe, die das Bild vertikal teilt, wirkt wie eine Spiegelachse, entlang derer sich die beiden Bildhälften spiegeln. Aber das ist eine Täuschung, hervorgerufen dadurch, dass zufällig zwei gleiche, leere aber trotzdem verschlossene Flaschen rechts und links der Strebe stehen. Natürlich sieht man gleich, dass es keine Spiegelung sein kann, denn weiter entfernt von der vermeintlichen Spiegelachse sieht man noch genügend andere Dinge, die sich NICHT spiegeln, trotzdem werden wir das Gefühl nicht los, dass hier irgend etwas nicht stimmt oder uns in die Irre führt. Und dann noch diese schöne Salve zweidimensionaler weißer Punkte, die unser räumliches Verständnis auf die Probe stellen! Und trotzdem wird hier noch eine kleine Geschichte erzählt, ganz bodenständig.

von Susann

Ich bin hin und her gerissen, denn ich muss befürchten, dass das Besondere in diesem Bild, das was ICH an Besonderem sehe, nicht leicht zu vermitteln ist, aber manchmal muss ein Mann eben auch mal ein Opfer bringen!
Auf ersten Blick alles ein bisschen banal und erwartbar. Aber ... - an dem Bild ist auch etwas irgendwie "perfekt", irgendwie "professionell". Zwei gut gekleidete junge Frauen ziehen unsere Blicke auf sich. Das stinkt doch schon mal nach Werbung. Sie stehen in einem schmalen Licht-Korrridor, der von links durchs Bild läuft - vor einem dunklen und monumentalen Hintergrund. Auch das raffiniert inszeniert, auch das riecht nach Werbung. Ja, eine Werbebrochure der Bahn könnte sich glücklich schätzen, dieses Bild einsetzen zu dürfen. Aber es gibt etwas, das diese Perfektion stört, ein Mißklang in dieser perfekten Werbe-Scheinwelt: Das hässliche Schilder- und Ampelgewusel rechts unten im Bild. Das ist eine total spannende Störung dieser ansonsten sehr stark vorhandenen Werbe-Traumwelt-Ästhetik.

von Jörg

Das ist ein wahnsinnig witziges und beziehungsreiches Bild! Den abgebildeten Gegenstand erkennen wir ja sofort, wenngleich er nie aufhört, etwas leicht Perverses an sich zu haben - wie das in eine Damenstrumpfhose gequetschte Gesicht eines Bankräubers: Der heilige Weihnachtsbaum im Nylonstrumpf. Ist ja an sich schon komisch. Aber der Nylonstrumpf hat Laufmasch... ähhhm ... Löcher. Nun muss ich tatsächlich an den filmischen Archetypus denken: Wie visualisiere ich, dass eine Frau unkultiviert und niveaulos ist? Oder arm? Laufmaschen! Ja, dieser Weihnachtsbaum wirkt einfach ganz schön abgehalftert! Und nun kommt noch die Perspektive hinzu, die den Baum absolut überhöht und ihn außerdem in die umgebende Skyline einsortiert als sei er das Empire State Buildung höchstpersönlich! Das Bild ist total witzig, aber auf eine ganz feinsinnige, beinahe möchte ich sagen "genderkritische" Art- denn der Weihnachtsbaum ist ja schließlich ein Kerl! :-)

Köln, Heinrich-Böll-Platz, im November 2020