Universität

von Annette

Ein plakatives Bild, wenn man ihm einen Vorwurf machen möchte, aber dennoch geradeheraus, eine griffige Zivilisationskritik mit lautem Donnerschlag vorgetragen. Es wirkt wie einer Reportage über die Erde entnommen, wie sie aussieht, kurz nachdem die Menschheit sie verlassen hat. Ich interpretiere die Netze so, dass sie Menschen vor herabstürzenden Fassadenteilen schützen sollen. Sie sind also auch ein Hinweis darauf, dass die Fassade instabil ist. Gleichzeitig kommen wir nicht umhin, diese Fassade als „modern“ wahrzunehmen. Warum ist sie instabil, wenn sie NICHT ALT ist? In meinen Augen konstatiert dieses Bild in seiner Metaphorik unspezifisch aber unmissverständlich ein Scheitern der Moderne. Wie gesagt: Beton = Moderne, Netz = funktioniert nicht. Besonders, weil hier das Netz (das Scheitern) so übermächtig dargestellt ist.

Eine sehr gelungene Architekturaufnahme. Komposition und Anschnitt gehen runter wie Öl und hinterlassen ein Gefühl wohliger Befriedigung wie frisches Roggenbrot mit Nutella. Und schön, wie wir dieses vorherrschende Element „rechter Winkel“ im Hintergrund noch einmal als Wandprojektion vorgeführt bekommen. Dennoch bleiben wir in Gedanken an der unergründlichen Bedeutung dieser merkwürdigen und tatsächlich sehr sakral anmutenden Bauteile hängen.

von Susanne

Eine raffinierte Lichtsituation, ergänzt durch die Scheinwerfer des Postwagens, doch auch weil die Straßenbeleuchtung und die Schatten, die sie erzeugt, deutlicher spürbar sind. Wenn ich DHL wäre, würde ich dieses Bild kaufen und zu Werbezwecken einsetzen! Die Verbindung, die hier zwischen Logistik und Weihnachten hergestellt wird, ist diskret angebracht doch überaus ergreifend und glaubwürdig.

von Cornelia

Ausnahmen sind ja bei mir die Regel! Eine Ausnahme ist das, weil ich es ja nie müde werde zu predigen, wie schwer es ist, wenn in Fotografien irgendwelche Schriftzüge auftauchen, die sich vermeintlich bedeutungsschwer mit anderen Bildelementen verbinden, nur um am Ende bei näherer Betrachtung zu offenbaren, dass daraus eigentlich nicht der geringste Sinn entsteht.

Hier finde ich das nicht so. Das Wahlplakat der MLPD ist doch relativ diskret untergebracht. Das gefällt mir. Mein Blick ist zunächst an der prägnanten Grundkomposition hängen geblieben, bestehend aus der Bauzaun-Strebe unten und den fluchtenden Begrenzungs-Steinen, die von links ins Bild kommen. In diesem Rahmen tummelt sich dann der Müll, der typischerweise Baustellen im Ruhestand ziert, plus Herbstlaub. Lohnt es, auf die Aussage näher einzugehen? Bin mir nicht sicher.  Ich denke, das Bild sagt, dass die antikapitalistische Alternative auch ein Teil des Kapitalismus ist. Ja, das ist nicht viel, aber es ist griffig, und man kann da ja in Gedanken nach Belieben weiter daran herumspinnen. Ich mag besonders das Beiläufige, Zufällige an diesem Bild, das hier ganz toll auf den Punkt gebracht wurde.

Hier gibt es viel zu entdecken und dann zu revidieren und wieder neu zu entdecken! Als Erstes fällt uns die gelungene Komposition auf. Das ist nicht viel, aber es kann ja hilfreich sein. Dann erfreuen ganz unterschiedlich beschaffene Bildelemente unser Auge: kleinteilige technische Strukturen, organische Strukturen, unterschiedlich gefärbte Flächen, Farben. Etwas, das wir ganz zu Anfang als schöne, leicht strukturierte und ein wenig verspielte Linie wahrnehmen, entpuppt sich schließlich als Grenze zwischen zwei Flächen. Und doch ist das Bild keinesfalls unruhig, schrill oder eklektisch, sondern kommt angenehm gesetzt daher. Sehr schön gesehen und inszeniert! Eine banale, alltägliche Szene wird zu einem leicht konstruktivistisch angehauchten Kunstwerk sublimiert.

von Uschi

von Alex

Eine ganz feine Serie! Die Bilder haben gemeinsam, dass sie sehr sensibel ganz feine Details unserer städtischen Umgebung in Szene setzen - um nicht zu sagen AUFSPÜREN. Linien, wir haben einige Lichtquellen, eine kleine Spiegelung. Ein wehmütiges, sentimentales, emotionales Stadt-Portrait. Das könnte sogar noch eine Weile so weiter gehen.
Am besten gefällt mir Bild 13. Es ist von diesen Bildern vielleicht noch einmal das subtilste - es ist zwar fein, aber der Reiz dieser geheimnisvollen leuchtenden Linie am Himmel springt uns unmittelbar an. Zunächst scheint es, als ob sie hier nicht hingehören würde. Eine missglückte Photoshop-Krickelei. Dann verstehen wir, dass es eine Lichterkette ist. Aber sie verliert dadurch ihren Reiz nicht, bleibt optisch, grafisch reizvoll. Aber in unsere Wahrnehmung mischt sich nun auch ein Empfinden, für das, was wir da sehen - Licht, ELEKTRIZITÄT! Und das bedeutet: Stadt, Zivilisation, auch VERSCHWENDUNG, DEKORATION, WERBUNG. Gleichzeitig ist da aber noch eine Metapher am Werk: BLITZ. Der ja auch im Himmel wohnt und den Naturstrom liefert!

Bild 13 - Alex

von Renate

Das spannende Momentum dürfte hier sein, wie sich die Betonstruktur zwischen den Bäumen hervordrängt. Ich denke, mir hätte das Bild ohne Straßenlaterne besser gefallen, weil sie genau diesen Aspekt etwas behindert.

von Susann

Es ist gar nicht das originellste der Bilder von Susann, aber der Zauber ist einfach unwiderstehlich, oder? Wie immer bei gefälligen, eleganten Bildern, die sanft unsere Augen streicheln, oder auch kübelweise Balsam über ihnen ausschütten, fragen wir uns: Ist es denn auch gut? Oder ist es nur schön? Das ist nicht immer leicht zu entscheiden. Der vordergründige Reiz liegt ja in der grafischen Wirkung der Neonröhren, wie diese Striche über das Foto verteilt sind - zunächst scheint es zufällig zu sein, dann aber entdecken wir, dass es nach einem Muster geschieht. Das, gepaart mit der großen Fläche, die von der Verkleidung des Baugerüsts herrührt und vielleicht noch dem Blau der Dämmerung, in das sie getaucht ist. Aber ich denke, das Bild hat mehr zu bieten, ist anspruchsvoller als das. Die Neonröhren bilden ja einen Raum ab, äußerst rudimentär angedeutet. Das ist natürlich sehr  spannend! Es ist unglaublich, wie unser Auge den Raum anhand dieser spärlichen Indizien korrekt zusammensetzt! Aber das Licht steht natürlich auch für eine Tätigkeit, die hinter der Abdeckplane ausgeübt wird, eine Tätigkeit, die wir nicht tatsächlich bezeugen können. Großes großes Kopfkino! Und auch hier wieder: ELEKTRIZITÄT! Es ist also doch nicht nur schön, dieses Bild!

weisste bescheid -  Cornelia

Nicht Cornelias Verdienst. Aber wir verneigen uns gerne vor dem anarchischen Humor des Briefkastenbesitzerin. Aber Cornelias Bildtitel ist allerliebst!

von Susanne

Es ist ja nur ein kubisches, modernes Gebäude! Mein erster Gedanke war, dass es ein Parkhaus ist, aber das scheint nicht zu stimmen. Jedenfalls hat man nicht das Gefühl, dieses Gebäude habe eine besonders aufregende Funktion oder Bestimmung. Doch hier steht es wie eine geheimnisvolle Schmuckschatulle aus Tausendundeine Nacht. Das Muster von Lichtpunkten, das durch Architektur und Beleuchtung erzeugt wird, ist solcherart gebrochen und unregelmäßig, dass wir das Gefühl haben, mit einem Code konfrontiert zu sein, vielleicht mit einer Sprache - einer Geschichte vom Menschen im 21sten Jahrhundert! Marsmenschen, die mit ungeheuerlich leistungsfähigen Teleskopen unseren Planeten aufspüren, können aus diesem Code die Menschliche DNA-Sequenz, Bachs Wohltemperiertes Klavier und den Hamlet von Sheakespeare herauslesen, nebst einigen Songs von Lady Gaga und der Relativitätstheorie. Max Frisch hat ja mal „das Unfaßbare“ und „die Wirklichkeit“ gleichgesetzt. Hier sieht man mal wieder, wie recht er hatte!

Wie wir sehen, kann Susann auch dreckig. So, wie das Bild komponiert ist, geht es um die Leiter. Lieber würden wir uns ja mit dem Baum beschäftigen oder der modernen Architektur ... Aber nein: Das wäre zu einfach!

von Susann

In der Spiegelung, auf die wir schauen, verbindet sich der surrealistische Aspekt untrennbar miteinander verschmolzener Wirklichkeitsebenen mit dem kubistischen Element simultaner Perspektiven. Und zu diesem solcherart entstandenen Bild gesellt sich rechts die Wirklichkeit. Ein Suchbild, in dem man lange die Blicke umher wandern lassen kann.

von Renate

Der Koloss von Konga grüßt Christo!!!

Das ist eine schöne, ausgewogene, aufgeräumte Architekturaufnahme. Würde man wahrscheinlich sagen. Aber wir sind ja damit konfrontiert, dass die Architektur verdeckt ist. Der Architekt des Gebäudes hätte wahrscheinlich wenig Gefallen an der Aufnahme. Ja, es ist nur der Machart nach ein Architekturfoto. Es lebt aber davon, dass das Gebäude verhüllt ist, und davon, dass es zur Hälfte im Schatten versinkt und nach oben hin im Sonnenschein erstrahlt. So gewinnen wir ein Gefühl von Yin und Yang, eine Medaille und ihre Kehrseite, Oberwelt und Unterwelt, Gegensätze, die einander bedingen. Jedenfalls, so kommt in dieses vordergründig sorgsam abgezirkelte Bild doch noch etwas weltanschauliches rein!

von Annette

Sehr, sehr schön, wie hier DAS ORGANISCHE gegen DAS ARCHITEKTONISCHE gesetzt wird - die organische Zeichnung der Äste gegen die rechten Winkel und aufgeräumten Flächen der Architektur. Eine schöne Komposition. Die Lampe hat an dieser prominenten Stelle eigentlich nichts verloren, aber wir verkraften sie.

Sehr witzig! Etwas, das wir aufgrund seiner eindeutigen und überaus archaischen Form sofort als Giebel dingfest machen, das auch tatsächlich Bauteil eines Hauses ist, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Untersicht eines Dachvorsprungs. Merkwürdigerweise passt der Hintergrund zu beiden Lesarten - obwohl wir auf einen Giebel ja eher horizontal schauen, während wir eine Untersicht auf einen Dachvorsprung ja nur bekommen, wenn wir vertikal in den Himmel schauen. Hier sieht man, wie sehr der Giebel als Grund- oder Ur-Form unserer Kultur unsere Wahrnehmung und unser Empfinden im Griff hat.

von Uschi

Der Titel legt uns fest, aber durchaus auf eine plausible Interpretation. Das Meiste ist damit gesagt. Es ist befriedigend, diesen Effekt einmal in dieser Reinheit zu sehen. Hier ist es nicht mehr der Schatten eines Baumes, der auf ein Gebäude fällt. Hier ist es DIE PROJEKTION eines Baumes, und das Gebäude ist die Projektionsfläche.

Der Zauber liegt ja darin, dass diese Punkte und ihre Spiegelungen einen Raum beschreiben und gleichzeitig eine räumliche Verwirrung stiften. Hier sehr schön gelungen. Ich hasse es ja, Tipps zu geben, aber: Könnte es sein, dass dieser Effekt NOCH deutlicher wird, wenn man diesen schmalen Streifen Durchblick links noch wegschneidet?

von Cornelia

von Susann

Ein ähnliches Phänomen wie bei Susanns Neonröhren. Die Lichtflecke bilden den Innenraum ab, verraten ihn nach außen hin durch die undurchdringliche Fassade hindurch.

von Annette

Ein theatralisches Bild über Theatralik. Ich kann nicht ergründen, worauf wir da schauen, aber ich sehe sofort einen griechischen Philosophen darauf sitzen - oder nehmen wir doch gleich den DENKER von AUGUSTE RODIN. Was auch immer es ist, es scheint Stoff darüber ausgebreitet zu sein, mit einem Faltenwurf wie aus einem klassizistischen Gemälde. Dazu das Schlaglicht und schließlich der abgedunkelte Himmel. Hier wirkt das Netz nun nur noch wie ein geheimnisvolles Accessoir!

von Susanne

Jetzt ist langsam Nacht. Was dieses Bild so schön illustriert, ist das unmittelbare Nebeneinander von quirligem, nächtlichen Leben (Autos) und zähem Stillstand (der Bürgersteig im Dunkeln).

von Alex

Wir starren gebannt auf NICHTS - vorbei an einem Reigen von Gegenständen. Sehr schön komponiert, die Bank ist perfekt angeschnitten.

von Uschi

Gelöste Fahrbahnmarkierungen? Schön, wie sie sich faul in der Sonne räkelt!

von Susann

Licht fotografieren. Ein Meta-Spaß! Eigentlich kann man ja Licht nicht fotografieren, sondern nur Dinge, die es reflektieren. Hier sieht man, dass es doch geht! Sehr schön, wie sich hier zu dem Thema LICHT das Thema BEWEGUNG hinzugesellt.

von Renate

Ich weiß nicht, ob das Renates Verdienst ist, oder das Verdienst des Gebäudes selbst oder seiner Architektin, ich weiß noch nicht einmal, ob Renate es bei diesem Bild auf diesen Aspekt abgesehen hat, aber für mich wirkt das Gebäude auf diesem Bild wie „verpixelt“, wie absichtlich „digital unkenntlich“ gemacht. Und diesen Gedanken finde ich faszinierend. Bei genauerem Hinsehen ist das Gebäude ja gar nicht verpixelt, es sieht nur so aus. Es ist leicht an den Fenstern zu erkennen. Aber die Vorstellung, dass etwas in der Wirklichkeit so gestaltet wird, dass es aussieht, als sei es auf einer digitalen Abbildung unkenntlich gemacht, das ist Philisophie und Medienkritik auf allerhöchstem Niveau und berührt mich außerdem ganz merkwürdig.

Köln, Universitätsstraße, im Oktober/November 2021