Luxemburger Straße / Moselstraße

von Susanne

Eine schöne, ehrliche, direkte, ungekünstelte Aufnahme. Hinter dieser Tür beginnt das nächtliche Abenteuer, gehen Hoffnungen in Erfüllung oder platzen Träume. Aber nichts ist undurchdringlicher als ein Spiegel. Das Geheimnis bleibt vollständig im Dunkeln. Im Spiegel sehen wir das Diesseits, in dem wir uns bewegen, hinter dem Spiegel ist das Jenseits, die Traumwelt, die Scheinwelt. Das Nebeneinander dieser beiden Kosmen ist ja auch der Nacht vorbehalten. Der Tag gehört dem Diesseits!

Spannend. Eben habe ich herausgefunden, was es ist, bzw. wovon das der Schatten ist :-), aber ich sag‘s lieber nicht. Ein kryptischer Gegenstand, der uns aber - der Schatten liegend auf diesem Schaufenstersims - besonders eindringlich präsentiert wird. Das ist absurd!

von Uschi

von Evelyn

Dieses Bild hat ganz allgemein das Thema STADT zum Gegenstand. Ich muss sofort an manche Bilder von Andreas Gursky denken. In den Bildern Gurskys ist oft DAS MASSENHAFTE in den verschiedensten Erscheinungsformen Thema. Menschen werden oft als Element einer Menschenmasse gezeigt, z.B im Publikum eines musikalischen Großevents. Auch muss ich an die Aufnahme „Montparnasse“ einer gigantischen Wohnanlage in Paris denken.  Auch hier verschmelzen scheinbar tausende von Einzelexistenzen zu einem riesigen Mosaik. Und natürlich ist das eine sehr zeitgemäße und durchaus brisante Auseinandersetzung mit unserer heutigen Lebenskultur - mit Überbevölkerung, mit einer auf Rationalisierung und Leistungssteigerung begründeten Gesellschaft, mit dem Spannungsfeld zwischen Individualität und Massenkultur. Und dafür steht das Klingelbrett. Nicht nur dieses Klingelbrett, aber dieses ganz besonders. Der Anschnitt scheint nahezulegen, dass das Klingelbrett noch viel größer sein könnte. Außerdem wird so eine Art Organisationsstruktur sichtbar. Wir verstehen zwar, dass alle, die eine Klingel haben, auch einen Briefkasten haben, aber auf Anhieb wirkt es erst mal wie unterschiedliche Menschenklassen. Lässt mich an die großen Aufmärsche von Klonkriegern in KRIEG DER STERNE denken.

Das ist weiß Gott nicht gefällig, aber ein Bild an dem man sich so richtig schön abarbeiten kann. Auch das SEIN & SCHEIN - Thema ist zwar präsent, es scheint aber das Bild nicht zu tragen. Was es trägt, ist die Komplexität, das Rätselhafte, das Nebeneinander von Struktur und Chaos, Ordnung und Unordnung, Kurve und Winkel. Nun, eine Malerleiter eben! Hier zu einem facettenreichen Kunstobjekt erhoben. Die Sonne hilft - wie immer im Leben!

Hier wird ja ein Kontrast aufgebaut zwischen der rauhen, schmucklosen Bahndamm-Ausstattung und dieser rosafarbenen Wolke. Die Wolke aber ist so zart, so schwach angedeutet, dass wir fast denken, wir hätten sie uns dorthin GEWÜNSCHT.

von Susann

von Renate

Das ist kein kompliziertes Bild sondern eines, das sich gleich beim ersten Betrachten recht gefügig anschmiegt, aber hier faszinieren mich die unterschiedlichen Lesarten, die möglich und plausibel erscheinen. Ich vermute mal, wir haben es hier mit einer CSD-Deko zu tun. So weit, so banal - und dass man die Augenbrauen hebt, wenn man ein Regenbogen-Banner an einer Oberleitung baumeln sieht, das ist nichts Besonderes sondern erwartbar. Besonders ist aber die Wirkung des Banners vor dem Hintergrund des grauen Verwaltungsgebäudes. Da werden wir doch schon entschiedener wachgerüttelt. Der Kontrast ist hier sehr schön auf den Punkt gebracht worden. Mir fallen die grauen Männer bei Michael Endes MOMO ein. Die wohnen bestimmt in genau so einem Gebäude! Leben & Tod! Überhaupt kommt VERWALTUNG in diesem Bild recht schlecht weg, muss ich sagen! VERWALTUNG als konzertierte Maßnahme, das Leben und das Gemeinwesen in geordnete Bahnen zu lenken. Und das Thema VERWALTUNG hat ja auch wirklich so viel und so vielschichtig mit Gender- und Transgendervielfalt zu tun. Vor diesem Hintergrund finde ich das Bild suggestiv und beredt! Und dass die Banner nicht in der Mitte platziert wurden: DANKE!!!


von Annette

Schön, dass wir die beiden Bilderzum Vergleich haben! Links ist das Erwartbare. Nicht verkehrt, plausibel auch, haben wir schon so oft genau so erlebt, aber deswegen auch nicht besonders aufregend. Die Komposition und die Schärfeführung legt nahe, dass der Point Of Interest im Hintergrund liegt: Das verschlossene Rolltor. Im Vordergrund - unscharf - das heruntergelassene Gitter. Da es nun mal da ist, uns aber nicht interessiert, ist es unscharf. (Und: Da es zu aufwendig wegzustempeln ist!) So weit, so gewöhnlich. Jetzt aber rechts: Etwas vom Gitter zurückgetreten, sonst gleiche Komposition. Point Of Interest ist immer noch das verschlossene Garagentor, aber das tritt nun etwas zurück, und das Gitter tritt hervor und ist nun scharf. Nun sind Gitter und verschlossenes Garagentor auf der gleichen Bedeutungsebene. Komischerweise denkt man - sowohl wenn man den Vordergrund wie wenn man den Hintergrund fixiert - jedesmal, dass man etwas verpasst. Und wir lieben es ja, von Fotos gequält zu werden! :-) Außerdem haben da noch diesen herrlichen M.C Escher-Effekt im Muster, das das Gitter im Vordergrund bildet, das sich von oben nach unten zu verschieben scheint.

Baumstämme und wie sie in den Boden übergehen: Das ist ein wirklich oft bemühtes Bild in der Kunstgeschichte der Fotografie. Gerade muss ich mich daran erinnern, dass auch in meiner ersten „offiziellen“ künstlerischen Arbeit so ein Bild enthalten war. (Hier: "DIE WELT IN AUSZÜGEN, TEIL I")
Hier irritierst Du uns durch einen unerwarteten Ausschnitt. Schwer vorstellbar, dass nicht der Baum im Zentrum des Geschehens stehen soll! Und doch ist er aus der Mitte gerückt - und macht dem Stein Platz, der aber wiederum recht abenteuerlich angeschnitten ist. Irgendwie ein ungleiches Paar. Zwei Fremde, die zusammen in einen Raum gesperrt wurden. Und doch machen sie gute Miene zu bösem Spiel und lächeln gemeinsam in die Kamera!

von Ines

Hier schätzen wir die ganz feine Balance zwischen ABSTRAKT und GEGENSTÄNDLICH. Man kann dieses Bild auf beide Arten gleichermaßen lesen, es hat konkrete Elemente und wirkt gleichzeitig durch die rote Fläche und diese unergründliche Bananen-Form auf einer abstrakten Ebene. Sehr spannend!

von Alex

von Jörg

Ok, kein reiner Augenschmeichler. Ich denke, das Besondere an diesem Bild ist, dass sowohl die Tüte wie das Plakat dahinter einen ganz auffälligen und prägnanten Magenta-Farbton zeigen. Es entsteht dadurch so ein merkwürdiges Gefühl von ausgeklügelter, planvoller Gestaltung, die in absolut krassem Widerspruch zur trostlosen, willkürlichen, zufälligen Anmutung dieses Ortes steht.

von Annette

„Der Balkon als Krankheit“. Das ist kein feines Bild. Eher laut und ungehobelt. Aber es ist spannend, wie hier die Balkone als eine Geschwulst der Fassade dargestellt werden! Dieser sonst so gerne romantisierte Bauteil einer Wohnung verschandelt die ganze Fassade, durch den grotesken Schatten, den es wirft in Verbindung mit dem krummen Winkel zur Fassade.

von Renate

Zum Glück bin ich nicht Elektriker geworden! Dieses Chaos hast Du schön gesehen und den Ausschnitt auch so gewählt, dass unserer so sehr nach Ordnung dürstenden Seele wirklich nicht der Funken einer ordnenden Struktur geboten wird. Und auch die Pflanzen, die so widerspenstig unten ins Bild kommen erfüllen eine wichtige Funktion: Sie zeigen an, dass dieses vollkommen unverständliche Chaos ganz in unserer Nähe ist, mitten in unserem Leben.

von Evelyn

Dem ersten Anschein nach scheinen wir hier auf Haut zu blicken. Man meint förmlich einen Haarflaum zu erkennen. Und wenn das Haut ist, auf das wir blicken, dann müsste das unten im Bild vielleicht Verbandsmull sein - oder Spitzenunterwäsche? Der Schwung, den wir sehen, ähnelt dem Übergang zwischen Oberschenkel und Bauch ... Das Bild ist sinnlich, aber auch verstörend, wegen des Risses, der von oben ins Bild ragt. Aber nein, es ist eine Faserplatte, vielleicht durch Feuchtigkeit oder Nässe etwas verformt und an einer Stelle gerissen. Und die Spitzenunterwäsche dürfte eher verblichenes Gaffer-Tape sein. So lassen wir uns doch gerne in die Irre führen! :-)

von Uschi

Das hört ihr nicht zum ersten Mal von mir: Manch seltenes mal gelingt ein vollständig unscharfes Bild. Seitdem sich die Menschheit daran gewöhnt hat, dass das erlaubt ist, hat sie bald gemerkt, dass diese Bilder ganz schnell langweilig werden. Sie sind platt, fordern uns nicht heraus, unter ihrer Oberfläche ist nichts zu finden. Manchmal gelingt aber eines, das irgendwie KOMPLEXER ist als die meisten - ein unverständlicher, unbekannter aber intakter Mikrokosmos, vor dem wir verzaubert stehen bleiben.

Woran erinnert Euch das Bild? Mindestens die Hälfte von uns hatte die Platte im Schrank stehen: Supertramp - Crisis? What Crisis? Dieser gut-gelaunt-in-den-Abgrund-Charme. Tiefenentspannt die Apokalypse mitgenommen. Jo, Alter! Das ist natürlich zu großen Teilen ein Verdienst des Motivs. Aber - wie wir sehen - nicht nur: Diese gut-gelaunt-in-den-Abgrund-Thematik teilt sich nur hier mit - weil hier die Umgebung der Sitzgruppe wie eine veritable, archetypische, dystopische Stadtlandschaft dargestellt wird.

von Susanne

Hier sehen wir ganz schön das Nebeneinander der beiden Lichtquellen: Links im Bild sehen wir das Tageslicht als Spiegelung und als Reflektion. Der Rest des Bildes wird dominiert von der warmen Straßenbeleuchtung. Wir kommen nicht daran vorbei: Es ist das warme Licht, das diese Szenerie für uns so anziehend macht. Besser können sich auch die Bremer Stadtmusikanten nicht gefühlt haben, als sie das Licht im Wald sahen! Ansonsten ist es ja eine Allerwelts-Fassade - vielleicht BESONDERS stark besprüht. So gesehen passt sogar das Wahlplakat ins Bild, es fällt eigentlich kaum auf, wir erwarten sowas in der Art. Ich frage mich, ob man an diesem Bild die Ambivalenz des städtischen Lebens ablesen kann: Das Bild zeugt von einem Leben auf engstem Raum. Nicht nur WOHNEN die Menschen dicht gedrängt - sogar um die Wandfläche scheint unter den Graffitty-Künstlern ein erbitterter Kampf zu toben. Es gibt nicht für jede/n genügend Platz, sich zu verwirklichen! Und dennoch ist das Bild ja freundlich. So ist das ja in der Stadt - nirgendwo gehen einem die Mitmanschen mehr auf die Nerven als hier - ABER MAN IST AUCH NIE ALLEINE!

von Susann

SO ist übrigens Graffiti erlaubt: Es ist da, es spielt sogar ästhetisch eine Rolle in diesem Bild, aber es belästigt uns nicht mit seinem Inhalt.
Aber darum geht es in diesem Bild nicht. Wir haben es hier ja wieder mit dieser UNTERWELT-Thematik zu tun. Von der Unterwelt durch ein Schlüsselloch eine Ahnung der lichten Oberwelt erhascht. Die Pflanzen quellen ein Stück weit in die Unterwelt hinein und bringen Kunde der Oberwelt. Diese Licht & Schatten / Gut & Böse / Jing & Jang / Oberwelt & Unterwelt - Thematik zieht einfach immer, sie ergreift immer, weil die Frage nach DEM ANDEREN GESICHT, DER ANDEREN MÖGLICHKEIT wohl immer in uns wirksam ist.
Schön auch der Scheinwerfer, der rechts unten sichtbar wird, der noch einmal den Nachweis liefert, dass es in der Unterwelt kein Tageslicht gibt.

von Alex

Eine schöne Serie. Fülle und Leere. Das Nebeneinander von Fläche, die bis zum letzten Quadratmillimeter genutzt ist, und Fläche, die brach liegt. Das finde ich spannend, und es ist eine gültige und bedenkenswerte Beschreibung von Großstadt. Wir wissen ja: Wir haben nur deshalb irgendwann begonnen, in die Höhe zu bauen, weil in den Metropolen der Platz knapp und vor allem teuer wurde. Umso absurder muss es anmuten, wenn im Zentrum von Köln ungenutzte Brache zu finden ist. Es berührt einen irgendwie.

 

Mein Favorit ist Bild 17. Aus der Fülle / Leere - Serie ist es das einzige ohne spürbare perspektivische Verzerrung oder stürzende Linien. Das macht sich bemerkbar. Es fehlt dieser Weitwinkel-EFFEKT. Das Bild kommt etwas leiser daher als die anderen, wirkt vielleicht neutraler, dafür empfinden wir es aber als universeller, können uns leichter einlassen, weil ja der Effekt NICHT IM WEG IST. Außerdem gibt es da diesen nur zum Teil verstellten Blick Richtung Andromeda-Galaxie, der irgendwie verheißungsvoll ist, der zu versprechen scheint, dass es noch etwas anderes außer unserem unseligen irdischen Gewurschtel gibt! :-)


Bild 17 - Alex

Witzig und auch beziehungsreich, eine Art geometrisches Rätsel, aber das Bild hat kurze Beine. Über dieses Rechteck, das wir in verschiedenen Raumlagen sehen dürfen, passiert dann eben doch nichts.

von Ines

Wie oft habe ich Euch schon vor diesen Staffelungen oder gestaffelten Gegenständen gewarnt. Sie üben einen starken sog auf Fotograf*innen aus. Und dann weiß man nicht, wohin man die Schärfe legen soll - wo doch ein Element der Staffelung so ist wie das andere.

Aber dieses Bild hier mag ich. Wir haben Staffelung, ok! Wir haben auch einen (gestaffelten) Gegenstand mit Gebrauchsspuren, der also sentimental aufgeladen ist, und reden wir gar nicht davon, dass es sich um Außengastronomie-Stühle in Corona-Zeiten handelt. Und doch: Dieses Bild ist so streng an einem Fluchtpunkt ausgerichtet, dass sich das Sentimentale nicht zu sehr ausbreitet. Und außerdem ist es komisch, dass diese Stühle sich auf der Fahrbahn aneinander reihen.

von Susann

Durch den Kunstgriff der „falschen“ Belichtung wird eine neue Realitätsebene erzeugt. Das Fenster ist nun eine Öffnung nicht in die Wohnung hinter dem Fenster sondern - unerträglich banal - in den Raum HINTER DEM FOTO!

von Renate

Das Bild knüpft an Susanns Ober-/Unterwelt-Bild an. Nur schauen wir hier nicht aus der Ferne auf diese beiden nebeneinander existierende Welten - hier schauen wir eindeutig von der Unterwelt in die Oberwelt, die uns offenkundig verschlossen ist.

von Susanne

Schön wuselig und hochdynamisch, und auch hier wieder gibt es dieses warme Licht im Innern der Straßenbahn, das und trotz allem friedlich stimmt.

Zunächst habe ich über dieses Bild hinweggesehen. Es hat etwas ganz Beiläufiges, das es aber auf den zweiten Blick umso interessanter macht. Dass wir keinen freien Ausblick haben, dass wir hohe Häuser bauen, in denen hunderte von Menschen arbeiten, dass man nirgendwo hinsehen kann, ohne die Spuren unserer technischen Infrastruktur zu sehen - das ist eigentlich ungeheuerlich, ein Drama der Moderne, aber in diesem Bild wird es so erzählt UND GEZEIGT, wie es ist: Ganz normal!

von Evelyn

von Uschi

Ein Stillleben. Eine Nature Mort. Oder vielmehr eine Technique Mort! Ich finde, es beschreibt metaphorisch das moderne Leben ganz schön. Der Tisch ist leer. NICHTS ist da. Aber im Verborgenen (Spiegelung) da legt sich eine Schicht Chaos über die andere, da platzt Information aus allen Nähten. Die Spiegelung würde ich hier mal als Metapher für DAS VIRTUELLE nehmen, das uns ja ständig begleitet, auch, wenn wir es nicht sehen oder auch gar nicht verstehen können. Und auf DAS VIRTUELLE weist ja dann tatsächlich das USB-Kabel hin, der Zugang zum VIRTUELLEN. Zunächst hatte ich es für ein Ladekabel gehalten - könnte auch sein, denn ein Ladekabel hat ja meistens eine USB-Seite. Ladekabel passt auch: Wenn man sich die Frage stellt, ob wir ohne Smartphone überhaupt noch vollständige Menschen sind, dann kann man das auch auf das Ladekabel ausweiten - es ist ja so viel weniger als ein Smartphone, aber ohne dieses dämliche Teil ist ein Smartphone ja auch nur noch 24 Stunden lang ein Smartphone, dann nicht mehr. Sparsam aber beredt!

von Jörg

Das Bild hat mich schon beim ersten Durchscrollen sofort berührt, auch wenn es etwas enthält, das normalerweise Probleme macht: Schrift im Bild! Ja, GAFFEL KÖLSCH - wie oft habe ich diesen vermaledeiten Schriftzug schon gelesen, seit der ersten STADTBILD KÖLN Stunde vor 16 Jahren!
Ihr kennt ja diese schön griffige Definition von Kitsch: KITSCH IST DIE ABWESENHEIT VON SCHEISSE. Nun, und dieses Bild ist die  ANWESENHEIT von Scheiße. Und damit das Gegenteil von Kitsch? Ja, irgendwo schon. Das Bild ist RADIKAL TROSTLOS. Reden wir gar nicht davon, dass Jörg das NICHTS fotografiert hat - nämlich einen leeren Kasten, der normalerweise die Funktion hat, Ankündigungen, das Menue, das Getränkeangebot zu verkünden. Damit nicht genug: Wir denken an Corona und die vielen gastronomischen Betriebe, die pleitegegangen sind. Wir sehen außerdem, dass der Kasten schmutzig ist. Ein paar übrig geblieben Magnete sind willkürlich über die leere Fläche verteilt. Wir sehen, dass der Kasten in einer dunklen, wahrscheinlich engen Ecke eines Häusereingangs hängt. Und wir sehen eines dieser fiesen modernen Türscharniere unten im Bild. Alles riecht nach Einheitlichlkeit, nach DIN-Norm und Baumarktqualität - und Tod und Pleite und vielleicht auch nach Pipi. Aber deswegen ist das Bild noch nicht RADIKAL Trostlos. Es wird dadurch radikal, dass auch auf der fotografischen Seite „Mängel“  deutlich werden: Es ist oder wirkt zumindest unscharf. Außerdem ist es eigentlich zu dunkel. Diese beiden Punkte kommen noch mit auf das Konto von Lieblosigkeit und Trostlosigkeit dazu. Wir meinen fast Jörg vor dem Computer sitzen zu sehen wie er denkt: „Mist, das Foto ist ja unscharf und außerdem unterbelichtet!“  Aber dann sagt er sich: „Ach, ist doch scheißegal, es ist eh alles so hässlich!“

Köln, Luxemburger Straße, im August/September 2021